Frauen sind kein Frischfleisch

Am vergangenen Wochenende war ich im Libanon. Es war – wie immer – eine wohlverdiente Pause vom hektischen Treiben in Kairo. Hinzu kam, dass wir in Kairo in der vergangenen Woche 46 Grad im Schatten hatten und ein heißer Wind blies der einem die Luft zum atmen nahm. Ich bin mitten im Wald aufgewachsen, ich kann Sahara-Sommer schlecht aushalten. Umso schöner und entspannter war der grüne Libanon. Am Ankunftstag regnete es und auch die restlichen Tage war es kühl, wolkig und es blies eine angenehme Brise. Ich habe täglich Pullover und Jacke getragen, weil sich 26 Grad nur in der Theorie warm anhören. Wenn man zuvor 20 Grad mehr auf dem Thermometer zu bewältigen hatte, sind die gefühlten Temperaturen andere. Umso erstaunter war ich, wie leicht bekleidet die Libanesinnen waren. Nicht nur wegen meiner Gänsehaut, sondern weil ihre kurzen Kleidchen und durchsichtigen Tank-Tops in Kairo eine Massenhysterie auslösen und im schlimmsten Fall in einer Massenvergewaltigung enden würden. Dazu muss eine Frau in Ägypten nämlich noch nicht mal leicht bekleidet auf die Straße gehen. Das ist die traurige Wirklichkeit. Im Anhang dazu ein Artikel aus der NYT.

Link NYT: http://www.nytimes.com/2014/06/10/world/middleeast/video-of-mass-sexual-assault-taints-egypt-inauguration.html

Die Frauen im Libanon hingegen tun und lassen – zumindest modisch – was sie wollen und das ist eine befreiende Erfahrung. Ich wünschte ich könnte das gleiche über die Frauen in Ägypten sagen, doch hier beschränkt sich das Experimentieren mit Mode und den Grenzen des sozial akzeptierten Verhaltens meist auf bestimmte Stadtviertel und die Club- und Barszene. Das liegt natürlich zuallererst nicht an den Frauen, sondern an den patriarchalen Strukturen der Gesellschaft und dem strikten Moralkodex. Selbstbestimmtheit wird in der Regel bei Frauen nicht geschätzt und mit Argwohn betrachtet, denn es könnte ja die dominante Stellung des Mannes gefährden. Frauen mit sexueller Gewalt von den Straßen vertreiben zu wollen ist eine besonders grausame Form der Kontrolle und der Machtausübung über Frauen. Den Männern in Ägypten, die Frauen als Frischfleisch ansehen und ihr kein Recht auf Selbstbestimmung gewähren wollen muss Einhalt geboten werden. Sie müssen von Kindesbeinen an – zu Hause und in den Schulen – lernen, dass eine Frau die gleichen Rechte hat wie ein Mann und ebenso viel Wert ist. Sie hat das Recht Nein zu sagen, auf eine eigene Stimme, auf Unabhängigkeit und ja, freie Kleiderwahl, ohne dafür mit bösen Blicken, Belästigungen oder Vergewaltigungen bestraft zu werden. Einer Frau wegen ihrer Kleiderwahl die Schuld dafür zu geben, von einem Mann belästigt worden zu sein, ist pervers. Männer sind keine Tiere, die keinen Verstand besitzen und Frauen sind keine Beute, die erlegt werden will oder muss. Das gilt für Männer und Frauen überall auf der Welt, nicht nur in Ägypten. Und natürlich gibt es in Ägypten auch viele Männer, die das wissen und Frauen mit Respekt behandeln und als gleichwertig ansehen. Nur leider gibt es auch immer noch zu viele, die ein Problem mit starken, unabhängigen Frauen haben. Ich wünsche mir, dass alle Frauen – nicht nur die Privilegierten – frei sind zu tun und zu lassen, was sie wollen: Zu studieren was sie wollen, zu arbeiten was sie wollen, zu treffen wen sie wollen, anzuziehen was sie wollen und zu sagen was sie denken. Schlichtweg Freiheit und Gleichheit in allen Lebenslagen genießen zu dürfen. Überall auf der Welt.

Einkaufen hilft immer

Es gibt so Tage, da möchte man in Kairo einfach den Kopf unter die Decke stecken und nicht mehr raus kommen. Natürlich gibt es diese Momente immer und überall auf der Welt, Weltschmerz kennt keine Grenzen. Es gibt halt so Tage, da scheint nichts so zu laufen, wie man es sich erhofft hat. Dann steckt der Wurm drin und man muss es irgendwie akzeptieren und hoffen, dass es schnell vorbei geht.

Bei mir häufen sich diese Tage in Kairo sobald es Sommer wird und die Temperaturen in für mich unerträgliche Höhen schießen. Dann überkommt mich das Heimweh öfter als sonst, die Sehnsucht nach Grün, kälteren Tagen und Regen. Ja, ich vermisse Regen. Das versteht natürlich in Deutschland immer keiner, aber wer mal einen trockenen Sommer in Kairo erlebt hat weiß, wovon ich spreche. Ich liebe meine Gummistiefel, und ich will sie nicht nur anschauen, sondern auch tragen. Ich freue mich wie ein Kleinkind wenn es nass genug ist, um sie anzuziehen und durch Pfützen zu marschieren. Passiert in Kairo eher selten, gebe ich zu. Aber diesen Winter hatte ich Glück. Es hat ein paar Mal richtig heftig geregnet und ich war eine von den ganz wenigen in diesem Land, die mit trockenen Füßen durch die riesen Pfützen der Stadt lief.

Aber zurück zum Heimweh. Wenn das Thema auf Gummistiefel kommt tendiere ich dazu abzuschweifen.

Es ist jetzt also Juni und es ist heiß in Kairo. Zu heiß. Da schlägt das Heimweh mit voller Kraft zu. Man muss sich also Strategien ausdenken, um das Heimweh auszutricksen. Eine gute Möglichkeit ist, sich bei über 40 Grad im Schatten in einen vollklimatisierten Supermarkt zu begeben. Gourmet in Zamalek eignet sich dazu zum Beispiel hervorragend. Der Laden ist zwar sehr klein, dafür bietet er aber alles, was das Ausländer-Herz begehrt. Gourmet gibt es seit einigen Jahren in Ägypten und seither ist der Laden für viele von uns unersetzlich geworden. Die Steaks kommen aus Australien, der Käse aus der Schweiz, der Lachs aus Norwegen und die sauren Gurken aus Deutschland. Hierher gehe ich, wenn ich das Gefühl haben möchte, nicht in Ägypten zu sein, weil ich hier fast alles finden kann, was es auch in Deutschland zu kaufen gäbe. Fast, aber immerhin. Neulich konnte ich mein Glück kaum fassen. Da lag in der Gemüsetheke tatsächlich frischer Grünkohl. Damit hatte ich nicht gerechnet. Grünkohl in Ägypten, das hatte ich noch nie gesehen. Ich glaube, es gibt für Grünkohl noch nicht mal einen Namen auf Arabisch. Manchmal haben sie auch weißen Spargel, auch so eine Seltenheit hier. Der Spargel war eigentlich für den Export nach Deutschland bestimmt und schon mit deutschem Warenhinweis bestückt, landete dann aber irgendwie bei Gourmet und nicht in einem deutschen Supermarkt. Glück für mich! Es gibt keine Ankündigung, man muss einfach am richtigen Tag seine Nase durch die Tür stecken. Es gibt auch so exotische Dinge wie Quinoa bei Gourmet zu kaufen und seit Neuestem haben sie auch Angebote für Veganer oder Menschen, die eine Laktose-Intoleranz haben. Beides Phänomene im Übrigen, denen man in Ägypten kaum begegnet. Menschen die kein Fleisch essen sind den Ägyptern schon mal per se suspekt, aber obendrein auch keinen Käse, keine Eier oder Milch!? Undenkbar. Dabei soll es mittlerweile ein veganes Restaurant in Kairo geben. Muss ich ausprobieren. Es gibt also bei Gourmet jetzt auch Mandel- und Sojamilch. Ich war so begeistert, ich habe gleich eine Packung Mandelmilch mit nach Hause genommen. Um die Wahrheit zu sagen, ich hatte zuvor noch nie Mandelmilch getrunken. Schmeckt gut, und ich vertrage sie tatsächlich besser als normale Milch. Ich hoffe also, dass Gourmet sie im Angebot behält. Denn: So schnell etwas kommt, so schnell kann es hier auch wieder gehen.

http://www.gourmetegypt.com/store/

‚Toys‘ – Eine etwas andere Reise durch Kairo

Es gibt viele gute Gründe, Hany Rashed zu mögen. Er ist nicht nur ein sehr sympathischer Mensch, offen, herzlich und ohne Berührungsängste, er ist auch ein spannender Künstler, der sich in Ägypten und über die Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht hat. Hany Rashed wurde 1975 in Cairo geboren, wo er bis heute lebt. Er begann seine künstlerische Karriere als Lehrling im Atelier von Mohammed Abla, einem renommierten ägyptischen Künstler, der auch eine besonders enge Bindung zu Deutschland und der Schweiz hat. Nach fast zehn Jahren an Abla’s Seite ging Hany Rashed 2003 seine eigenen Wege und hat seitdem an internationalen Gruppenausstellungen in London, Griechenland, Italien, Dubai, Senegal, Spanien und Schweden teilgenommen. In der Mashrabia Kunstgalerie in Downtown Kairo fand Anfang Mai Hany Rashed’s neunte Einzelausstellung statt, und sie war außergewöhnlich – wie seine Arbeiten so oft sind. Ich war sofort fasziniert von ‚Toys‘. Es gab dieses Mal keine Zeichnungen und Bilder von Hany Rashed. Stattdessen nahm er den Besucher mit auf eine Reise durch das Kairo von heute. Fast wie in einem Comicfilm wurden die Charaktere und Situationen zum Leben erweckt. Hany Rashed hat eine Welt erschaffen, in der alles um ihn herum – von Bussen und Autos über Menschen und Häuser – in Plastikobjekte verwandelt wird. Die Objekte erinnern stark an Kinderspielzeuge oder auch an Comiczeichnungen. Rashed hat die Plastikformen mit einer speziellen Technik ausgedehnt und wieder zusammengezogen. Dadurch entsteht ein Welleneffekt, der den Objekten eine Dynamik verleiht, die faszinierend ist. Busse und Motorräder scheinen zu fahren, man spürt förmlich den Wind, der den Motorradfahrern ins Gesicht bläst. Die Menschen sind teilweise als Menschenmenge angeordnet oder hängen wie Kinderspielzeuge in Plastiktüten von der Decke. Selten hat eine Ausstellung so viel Spaß gemacht.

Golo ist mein neuer Held

Dass der Mann Ägypten, seine Menschen und ihre Eigenheiten bis ins kleinste Detail studiert hat, wird auf den ersten Blick klar. Golo – französischer Comiczeichner und Illustrator – kam 1973 das erste Mal nach Kairo und war sofort fasziniert. Er kam regelmäßig zurück und zog schließlich 1993 ganz nach Ägypten. Er hat mehrere Comicalben veröffentlicht und seine Zeichnungen und Illustrationen erscheinen unter anderem in der „Cairo Times“. Seit Ende vergangener Woche sind nun seine Werke in einer Ausstellung im ‚Le Viennoise’ in Downtown Kairo zu sehen. Ich kannte seine Arbeiten bisher noch nicht, bin aber seit gestern Abend Fan. Besonders eindrücklich fand ich die Zeichnungen des ägyptischen Alltags, die Straßenszenen und die Porträts spärlich bekleideter Touristinnen auf deren knall-engen T-Shirts Schriftzüge wie dieser prangen: „Tourism for Development“. Wunderbar! Schön auch der Spruch: „Smile, you are in Egypt“, den ein filmender Rentner auf seinem T-Shirt trägt, während ihn schwer bewaffnete Sicherheitskräfte umringen. Golo legt den Finger in die Wunde. Denn natürlich sind diese Sprüche nicht nur lustig, sondern sie haben auch eine politische Komponente. Etliche seiner Comics beschäftigen sich mit der politischen Situation der vergangenen drei Jahre, aber er beschäftigt sich auch mit der Geschichte des Landes, sei es der neueren oder der pharaonischen Geschichte. Besonders angesprochen haben mich auch seine Illustrationen aus Luxor, wo Golo seit 2001 mit seiner Lebensgefährtin Dibou lebt. Vielleicht auch deshalb, weil er sich in seinen Zeichnungen eindringlich mit dem Dorf Al-Qurna beschäftigt. Erst im April war ich dort, auf meiner Reise in den Süden des Landes, da Al-Qurna gleich gegenüber des Marsam Hotels liegt, in dem ich einige Tage verbracht habe. Ich habe das Dorf, oder was davon übrig geblieben ist, auf seinen Zeichnungen sofort erkannt. Die gelben Häuser am Hügel haben eine magische Ausstrahlungskraft. Golo dokumentiert in zahlreichen Illustrationen eindrücklich die Zerstörung des auf einem altägyptischen Gräberfeld gelegenen Dorfes Al-Qurna. Jahrelang versuchte die ägyptische Regierung, die Einwohner Al-Qrnahs umzusiedeln, um das Gräberfeld für den Massentourismus zugänglich zu machen. Der Comic „Chroniques de la nécropole“ (2011, dt. »Chronik einer verschwundenen Stadt«, 2012) gibt den 300 vertriebenen Familien des Dorfes eine Stimme und zeigt, wie durch die Versetzung des Ortes um einige Kilometer eine wertvolle Kultur zerstört wurde. „Chronik einer verschwundenen Stadt“ erzählt nicht nur die Geschichte Al-Qurnas, sondern gleichzeitig die von Golo und Dibou als Bewohner dieses Dorfes.

Am liebsten hätte ich einen Golo mit nach Hause genommen, für meine Sammlung. Aber ich konnte mich einfach nicht entscheiden, welche Zeichnung ich nun am besten fand. Immer diese Entscheidungen! Also habe ich erst einmal Bilder gemacht und Postkarten gekauft. Bis Ende des Monats habe ich Zeit, mir Gedanken darüber zu machen. So lange läuft die Ausstellung noch.

http://www.avant-verlag.de/artist/golo

http://www.golobd.com/golo/golobd.html

 

Tod auf dem Nil

Eine meiner absoluten Lieblingsautorinnen ist Agatha Christie. Besonders liebe ich ihre wunderbare ‚Miss Marple‘, diese kauzige, alte Frau, die immer nachts alleine in irgendwelchen Ohrensesseln auf den Mörder wartet. Gruselig, aber schön! Trotzdem ist der Held meines Lieblingskrimis von Agatha Christie ein anderer – Hercule Poirot. Ich habe „Tod auf dem Nil“ verschlungen und war besonders fasziniert von Christies genauer Beschreibung Ägyptens und seiner Menschen. Viel hat sich tatsächlich seit dem frühen 20. Jahrhundert hier nicht verändert. Auch nicht die Schönheit Assuans und des Old Cataract Hotels. Agatha Christie verbrachte mehrere Monate im Old Cataract, dass 1899 von Thomas Cook am Ostufer des Nils erbaut wurde. Hier schrieb sie ihren Klassiker Tod auf dem Nil, in dem auch das Hotel verewigt wurde. Von ihrer Suite in dem alten viktorianischen Palast hatte Agatha Christie einen atemberaubenden Blick über die Promenade aus Rosengranit, die legendäre Terrasse des Hotels – wo sie unter anderem mit Winston Churchill Tee (oder vielleicht doch einen Gin) trank – und das Panorama über den Nil. Nirgendwo sonst ist es schöner. Bis heute ist das Old Cataract eines der schönsten Hotels Ägyptens, wahrscheinlich weltweit. Und in der Agatha Christie Suite hängt bis heute eine scharz-weiß Fotografie, die den ehemaligen Premierminister Winston Churchill mit der Meisterin des Kriminalromans zeigt – natürlich im Garten des Old Catarct.