Abschied von einem zerrissenen Land

Ende Januar jährte sich die ägyptische Revolution zum fünften Mal.

Fast fünf Jahre vor diesem historischen Ereignis war ich nach Ägypten gezogen, um von dort aus über den Nahen Osten zu berichten. Wenn ich gefragt wurde, wie lange ich in Ägypten bleiben wollte, dann sagte ich immer: „Solange, bis Mubarak geht.“ Ich konnte natürlich nicht wissen, dass er durch einen Volksaufstand aus dem Amt gejagt und ich als Berichterstatterin aus nächster Nähe dabei sein würde. Aber es war klar, dass es in irgendeiner Weise das Land verändern würde, wenn er nach 30 Jahren an der Macht sein Amt endlich aufgeben müsste. Es gab so viele Möglichkeiten, was passieren könnte, aber an eine Revolution des Volkes hätte ich im Traum nicht gedacht.

Die Ägypter revoltieren nicht. Das war Jahrzehntelang die gängige Meinung unter Ägyptern und Experten aus dem Ausland. Dabei hatten die Ägypter allen Grund, sich gegen ihre Lebensumstände und das Regime Hosni Mubaraks aufzulehnen. 40 Millionen Ägypter, die Hälfte der Bevölkerung, leben in Armut, sie müssen mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen. Nur einige wenige im Land profitierten vom wirtschaftlichen Aufschwung, den das Land vor der Revolution erlebte. Die Schere zwischen Arm und Reich wurde immer größer. Zur Armut gesellten sich zudem Unterdrückung, Vetternwirtschaft und Korruption, die sich durch alle Ebenen des Lebens zog. Der von Hosni Mubarak aufgebaute Polizeiapparat umfasste fast 1,5 Millionen Mann, die hauptsächlich damit beschäftigt waren, das Regime zu stützen anstatt im Dienst des Bürgers zu stehen. Der Sicherheitsapparat war zu einem Instrument der Unterdrückung geworden. Machtmissbrauch, Überwachung, Drohungen und Folter waren in Ägypten an der Tagesordnung. Mit diesem Machtapparat im Rücken, der jede Opposition im Keim erstickte, hatte Hosni Mubarak 30 Jahre lang die Macht am Nil monopolisiert. Und es sah alles danach aus, als würde sein Sohn Gamal die Nachfolge als Staatschef antreten.

Als ich während der Jasmine-Revolution in Tunesien gefragt wurde, ob etwas Ähnliches in Ägypten vorstellbar sei, verwies ich darauf, wie sehr sich beide Länder unterschieden. Obwohl ich seit 2006 regelmäßig über die Demokratie-Bewegung im Land berichtet hatte und viele Blogger und Aktivisten persönlich kannte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass Hosni Mubarak und sein Regime ähnlich schnell wie das Regime in Tunesien gestürzt werden könnten. Die für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit kämpfenden ägyptischen Blogger und Aktivisten, die ich seit 2006 regelmäßig getroffen hatte, begeisterten mich mit ihrem Mut. Sie gaben mir Hoffnung, dass sich irgendwann etwas grundlegend ändern würde in Ägypten, doch nie hätte ich mit dem gerechnet, was am 25. Januar 2011 seinen Anfang nahm. Zu oft hatte ich gesehen, wie diese unerschrockenen Menschen dem übermächtigen Polizeiapparat die Stirn geboten hatten, und wie sie dann von den Sicherheitskräften durch die Straßen Kairos gejagt, bedroht, verhaftet und gefoltert worden waren.

In den ersten 18 Tagen der Revolution habe ich wohl jede Facette der Gefühlspalette durchlebt – Erstaunen, Freude, Wut, Sorge und Trauer. Nie werde ich das Gefühl vergessen, als ich am 1. Februar vom Tahrir-Platz über die Kasr El-Nil-Brücke Richtung Zamalek lief. Die Stimmung am Tahrir war entspannt, freudig, fast ausgelassen gewesen, und es waren wieder Hunderttausende gekommen. Die Stimmung war ansteckend gewesen, selten hatte ich so viele glückliche Gesichter, so viel Optimismus und vor allem so viel politischen Austausch zwischen den Ägyptern gesehen. Es standen Junge und Alte beisammen, Kopten und Muslime, ich verfolgte eine Diskussion zwischen einem Liberalen und einem Moslembruder, sah verschleierte und unverschleierte Frauen, Reiche und Arme und sie alle hatten das gleiche Ziel: mit friedlichen Mittel einen politischen Wandel hervorzurufen. Es war, als ob die Ägypter mit einem Mal ihre Stimme gefunden hätten und sie alle riefen immer wieder das gleiche: Tritt ab, Hosni Mubarak! Es war keine Bitte, es war eine klare Forderung. Es fühlte sich an, als ob ein ganzes Volk jahrzehntelang alle möglichen Erniedrigungen ertragen hatte und nun das Fass zum Überlaufen gekommen war. Sie waren entschlossen, sich endlich ihre Rechte zu nehmen. Auf friedlichem, demokratischem Weg. Schon alleine damit haben die Ägypter alle die Lügen gestraft, die immer wieder behauptet hatten, die Araber seien nicht fähig zur Demokratie. Es waren nur schlichtweg die korrupten Machthaber, die kein Interesse an freiheitlichen Strukturen hatten.

Nach dem Sturz Mubaraks folgte eine Phase der Euphorie in Ägypten und das Gefühl, dass politischer Wandel tatsächlich möglich sei. Die Ägypter wurden zum ersten Mal in einen politischen Prozess eingebunden, es fanden freie Wahlen statt, ein Referendum zur Verfassungsreform wurde abgehalten, ebenso Parlamentswahlen und Präsidentschaftswahlen. Doch auch in diesen Monaten des Aufbruchs gab es immer wieder Rückschläge für die Demokratiebewegung. Das Parlament bestand nach der Wahl zu einer großen Mehrheit aus Islamisten und auch der erste frei gewählte Staatschef Ägyptens, Mohammed Mursi kam aus diesem Lager. Viele, die auf dem Tahrir-Platz für Freiheit, Gleichheit und Demokratie gekämpft hatten, fühlten sich betrogen und fürchteten eine erneute Autokratie, dieses Mal im Namen der Religion.

Heute ist die kurze Phase der Euphorie nach dem Sturz Mubaraks im Februar 2011 längst Hoffnungslosigkeit und Resignation gewichen. Nichts scheint besser, aber vieles scheint schlimmer geworden zu sein. Statt Mubaraks Clique herrscht nun das Militär über Ägypten und das mit härterer Hand als das alte Regime. Die politische Opposition existiert nicht mehr. Wer sich traut, die Machthaber anzugreifen muss damit rechnen, ins Gefängnis zu kommen, wo Tausende darauf warten, endlich freigelassen zu werden oder zumindest ein faires Gerichtsverfahren zu bekommen.

Die Ägypter sind bekannt für ihren Humor. Selbst über ihre Fähigkeit der Unterwerfung und der Hinnahme von Ungerechtigkeit machten sie jahrelang Witze. Nichts ist vor ihrem Humor sicher. Im Jahr nach der Revolution schrieb die ägyptische Autorin Ghada Abdelaal in einer Bestandsaufnahme über das Geschehene: „Ich war immer an vorderster Front dabei, wenn es um Scherze und Satire ging; aber mittlerweile muss ich mir eingestehen, dass es nichts mehr zu lachen gibt. Auch wenn wir Ägypter durch die hohe Schule der Ironie gegangen sind – jetzt schaffen wir es nicht mehr, uns wie gewohnt mit einem Witz über unsere Probleme hinwegzusetzen. Denn wir sehen, dass die Forderung nach Freiheit und Demokratie, die wir mit unserer Revolte durchgesetzt zu haben glauben, zu einem Instrument verbogen wird, das womöglich noch mehr Zwang über uns bringen und uns weniger Freiheit lassen könnte denn je.“ Ihre Sorge ist vier Jahre später zu trauriger Realität geworden. Heute gibt es weniger Freiheit in Ägypten als in den Jahren vor der Revolution. Das Militär unter Machthaber Abdel Fatah Al-Sisi drangsaliert sein Volk und rechtfertigt jede Einschränkung der persönlichen Freiheit mit dem Kampf gegen den Terrorismus.

Heute ist es in Ägypten sogar gefährlich, Witze zu machen. Der bekannte und in der ganzen arabischen Welt beliebte Satiriker Bassem Youssef, der nach der Revolution eine höchst erfolgreiche Late-Night-Show im ägyptischen Fernsehen moderierte, musste seine Sendung aufgeben und hat mittlerweile das Land verlassen. Auch viele bekannte Fernseh-Journalisten leben heute im Ausland, weil sie sich in Ägypten nicht mehr sicher fühlten und ihre Sendungen abgesetzt wurden. Jedwede Kritik an der politischen Führung des Landes wird als Gefährdung der inneren Sicherheit ausgelegt und kann in einer Gefängnisstrafe enden. Tausende Aktivisten, Journalisten, Fotografen, Schriftsteller und einfache Bürger sitzen in ägyptischen Gefängnissen, die politische Opposition ist mundtot und auch sonst duldet das Regime keine Kritik.

Aber nicht nur politisch ist die Lage in Ägypten heute schwieriger als noch zu Mubaraks Zeiten. Das Land erlebt gerade eine schwere Wirtschaftskrise, das ägyptische Pfund wurde abgewertet und die Regierung hat dem Land ein Sparprogramm auferlegt und Wirtschaftsreformen verordnet. Steuern wurden erhöht, Subventionen abgeschafft und die Inflation treibt die Preise von Grundnahrungsmitteln so drastisch in die Höhe, dass vor allem die Ärmsten in Ägypten nicht mehr wissen, wie sie ihre Familien ernähren sollen. Auch krank sollte man zurzeit nicht werden, denn die Wirtschaftskrise hat auch die Apotheken und Krankenhäuser erreicht, wo oft lebensrettende Medikamente fehlen. Die Preise für Medikamente sind derart in die Höhe geschnellt, dass viele Ägypter auf Naturmedizin umsteigen und sich auf dem Kräutermarkt eindecken.

Ende November stieg eine 30-jährige Hausfrau, deren Mann Tagelöhner ist, am Tahrir-Platz auf eine riesige Werbetafel und drohte damit sich in den Tod zu stürzen. Vor fünf Jahren waren es die Frauen, die der Motor der politischen Revolution waren und mich am meisten beeindruckten mit ihrem Mut und ihrem Willen, die korrupten Machthaber zu stürzen. Heute steigen sie auf Werbetafeln, weil sie nicht wissen, wie sie ihre Familie durch den nächsten Tag bringen sollen.

Mit Blick auf die vergangenen, turbulenten fünf Jahre, verklären viele die Zeit vor der Revolution. Unter Mubarak war das Leben weniger chaotisch, jedes Jahr glich dem anderen. Heute weiß niemand, was die nächsten Monate bringen. Das Militär scheint das Land mit eiserner Faust zu regieren. Doch werden die hungrigen Massen so in Schach zu halten sein? Oder wird es eine erneute Revolte geben, dieses Mal eine Revolte der Armen, der Hungrigen? Ägypten ist heute auch deshalb ein zerrissenes Land in dem nichts vorhersehbar ist, weil am 25. Januar 2011 der gordische Knoten zerschlagen wurde. Der Status quo, der jahrzehntelang galt, das ungeschriebene Gesetz, dass sich die Ägypter nicht auflehnen, dass sie zu lethargisch und seit der Zeit der Pharaonen daran gewöhnt seien, mit harter Hand von einer übermächtigen Figur geführt zu werden, wurde ad-acta gelegt. Die Ägypter wissen jetzt dass es möglich ist, sich von autokratischen Machthabern zu befreien. Nicht nur Mubarak haben sie aus dem Amt gejagt, auch Mohammed Mursi wurde nach tagelangen Massenprotesten durch einen Militärputsch abgesetzt. Zudem haben Menschen, die Hunger leiden und keine Zukunft für sich sehen, keine Angst vor den Waffen des Militärs.

Ja, Ägypten war ein ruhiges, entspanntes Land, als ich 2006 anfing, von dort zu berichten. Die Menschen haben vieles hingenommen und waren sich oft nicht bewusst, was für Unrecht ihnen und ihren Mitmenschen tagtäglich widerfährt. Über Politik wurde nicht gesprochen. Das Leben plätscherte vor sich hin.

Heute ist das anders. Die Menschen verstehen, was mit ihnen passiert. Viele sind wütend, viele hoffnungslos, andere haben sich zurückgezogen und es herrscht fast eine kollektive Depression, aber sie alle haben erlebt was passieren kann, wenn sich die Masse erhebt und mit einer Stimme spricht. Der Stolz, mit dem die Ägypter auf dem Tahrir-Platz riefen: „Erhebe Deinen Kopf, Du bist Ägypter“, verursacht bei mir immer noch Gänsehaut. Eine Saat wurde vor fünf Jahren gesät, die irgendwann aufgehen wird, da bin ich mir sicher. Wird es wieder eine friedliche Revolution sein? Vermutlich nicht.

Schon im März 2012 schrieb die Autorin Ghada Abdelaal in ihrem Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung: „Wenn der demokratische Prozess in Ägypten mit solchen Fehlern und Mängeln behaftet ist und diese weiterhin unbeachtet und ohne Korrektur bleiben, dann könnten wir bald vor einem Scheideweg stehen, der keine dritte Option offenlässt. Entweder gibt es eine erneute Revolte, wenn die Wut jener jungen Generation überkocht, die den Glauben an die so lange erträumte Demokratie zu verlieren droht; oder wir ziehen uns alle resigniert zurück und schauen zu, wie sich bei uns das Szenario anderer Revolutionen wiederholt – Revolutionen, die von einer Quelle der Hoffnung zum bitteren Kelch geworden sind; Revolutionen, deren Vorkämpfer erneut zum Warten, zu Angst und Sorge verdammt sind – und zum Lachen über Dinge, die niemals zum Lachen waren.“

Ägypten steht an diesem Scheideweg. Ich werde die Geschehnisse ab jetzt aus der Ferne beobachten, aber Ägypten wird für immer ein Teil von mir sein und ich werde zurückkehren, irgendwann, ganz bestimmt. Denn wie ein bekanntes ägyptisches Sprichwort besagt: „Wer einmal vom Wasser des Nils getrunken hat, wird immer wiederkehren.“

Das Lieblingsgebäck der Pharaonen

Einen Monat lang haben Muslime auf der ganzen Welt während des Ramadans von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gefastet. Das Ende des Ramadan wurde vor kurzem mit dem kleinen Fest, Eid al-Fitr genannt, begangen. Essentiell für diese Festtage ist natürlich – genau wie bei uns zu Weihnachten – das Essen. Die Familien kommen zusammen und feiern mit üppigen Mahlen das Ende ihres Fastenmonats. Ein Tisch, der sich nicht von der Last der aufgetischten Leckereien biegt, ist kein vollständig gedeckter Tisch. Etwas, was unbedingt zum Fest dazu gehört sind die Süßigkeiten und hier ganz besonders ein Keks namens Kahk. Dieser Keks, der vom Geschmack ein klein wenig an Vanillekipferl erinnert, soll schon von den Pharaonen gegessen worden sein. Sogar in ihren Gräbern haben die Pharaonen dieses Gebäck als Wandmalerei verewigen lassen. Die Kekse sind rund, was die Form der Sonne symbolisiert. Über die Jahrtausende hat sich an der Form nicht viel geändert, aber abhängig von Region und Familientradition hat jeder sein eigenes Geheimnis wie die Kahk am besten zubereitet werden. Manche reichen sie ungefüllt, andere bevorzugen eine Füllung mit Pistazien oder wahlweise mit Dattelmus. Eine Zutat darf nie fehlen: sehr viel Butter. In Ägypten, Libanon und Marokko wird meist Rosenwasser zum Teig gegeben, in Syrien hingegen lieber Orangenblütenwasser, was das ganze zu einer besonderen Spezialität werden lässt. Meine Mutter bekam mal vor vielen Jahren ein solches „geheimes“ Familienrezept von einer Cousine meines Vaters. Zurück zu Hause wollte sie es gleich ausprobieren. Obwohl sie alle Regeln befolgt hat, wurden aus den sonst im Mund zerfließenden Köstlichkeiten gefährlich harte Wurfgeschosse, mit denen man leicht ein Loch in die Wand hätte schlagen können. Ich erinnere mich noch gut an die Frustration meiner Mutter, die ewig Teig geknetet hatte. Wer das Backen lieber den Profis überlässt, sollte früh genug vor dem Fest bei der Konditorei seines Vertrauens vorbestellen, denn zum Fest selber kommt man an die Delikatesse dann kaum mehr heran. Schon Tage vorher stapeln sich bei „Koueidar Mandarin“, dem besten Bäcker Kairos, die Platten mit den in Puderzucker getauchten Keksen. In der Bäckerei ist kein Vorankommen, die Männer hinter dem Tresen wiegen Kilo um Kilo Süßwaren ab und am hinteren Ende des Ladens werden sie meisterlich zu festen Paketen geschnürt. Die Konditorei wird in diesen Tagen zum Fließbandbetrieb. Dem wohl-riechendstem der ganzen Stadt.

In Kairo zieht System ein

Wenn ganz Kairo im Sommer mit Sack und Pack an die Nordküste emigriert – inklusive der angesagtesten Kunstgalerien, Bars und Restaurants – weil die Stadt am Nil einfach zu heiß wird für ein angenehmes Leben, dann emigriere ich zurück nach Europa. Wenn man dann nach dem, zugegeben dieses Jahr sehr langen Sommer, zurück nach Kairo kommt kann es vorkommen, dass sich so einiges geändert hat womit man nie im Leben gerechnet hätte. So fuhr ich vergangene Woche an einem Samstagnachmittag durch das Stadtzentrum hinter dem Tahrir-Platz Richtung Alt-Kairo und traute meinen Augen kaum. Ich war so schnell am Bazar wie sonst nur an einem Freitagmorgen vor dem großen Gebet, wenn die Welt in Kairo noch am Schlafen ist. Weit und breit waren keine fliegenden Händler mehr zu sehen, die in den vergangenen Jahren die Straßen zunehmend bevölkert und für Autos fast unpassierbar gemacht hatten. Auch am Straßenrand parkende Autos waren nirgends zu sehen. Dafür waren die großen Ampeln wieder alle im Betrieb und wurden sogar beachtet. Nur von meinem deutschen Bekannten nicht, der als Einziger über Rot fuhr, weil das sonst ja auch immer alle gemacht hatten. Er hatte die neue Entwicklung, die von der Regierung durchgesetzt worden war, während der Sommermonate in Deutschland wohl auch nicht mitbekommen. Ich rieb mir erstaunt die Augen und suchte nach der versteckten Kamera. Stattdessen fand ich am Tahrir-Platz eine neue Busstation mit neuen, sauberen Bussen über der neuen Tiefgarage, an der jahrelang gearbeitet worden war. Ab jetzt müssen alle, die ins Zentrum wollen ihr Auto dort parken und können dann mit einem der Busse in die Innenstadt fahren. Natürlich kommt man mit dem Auto noch durch die Stadt, nur wildes Parken ist nicht mehr erlaubt. Es kommt einem Wunder gleich, denn plötzlich sind die großen Boulevards, die ebenso wie die Häuser der Innenstadt von französischen Architekten entworfen wurden, auch wieder als solche erkennbar. Aber nicht nur das Stadtzentrum ist sauberer, auch in meinem Viertel gibt es eine interessante Neuerung. So gibt es eine neue Order der Regierung die besagt, dass jedes Geschäft eine Mülltonne vor der Tür stehen haben muss, sonst gibt es eine saftige Strafe. Was dann später mit dem Müll in der Tonne geschieht steht zwar auf einem anderen Blatt, aber zumindest ist es ja schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Nur den großen, alten Baum vor meiner Terrasse werde ich schmerzlich vermissen. Der ist – warum auch immer – nämlich dem Aufräumwahn der Ägypter über die Sommermonate leider auch zum Opfer gefallen. Jetzt müssen sich die Papageien, die mir sonst immer beim Frühstück Gesellschaft geleistet haben, eine neue Heimat suchen.

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Es war einmal… Glückliche Papageien im Baum vor meinem Balkon

Der Mann mit den funkelnden Augen

Was für ein Glück ich hatte. Ich durfte diesen Mann persönlich treffen, ihm aus der Nähe in seine unwiderstehlichen, funkelnden, dunklen Augen schauen, ein paar freundliche Worte mit ihm wechseln, seinen Charme und seine außergewöhnliche Ausstrahlung erleben, die er trotz seines Alters nicht verloren hatte. Er war einer der größten Stars, die Ägypten je hervorgebracht hat und trotz seines Ruhms war er nahbar geblieben. Ein zuvorkommender, sympathischer und liebenswerter Mann. Omar Sharif. Die Legende. Der Weltstar. Gestern starb er in Kairo an einem Herzinfarkt im Alter von 83 Jahren.

Das erste Mal sah ich ihn in dem Jahr, in dem ich zum ersten Mal überhaupt in Kairo lebte. Es war 1996 und ich war eines Abends mit einer Gruppe Freunden zu einem Geburtstagsabendessen ins „Four Corner“ in Zamalek unterwegs, einer Gruppe von vier Restaurants, die alle nebeneinander in einem Gebäudekomplex lagen und die es heute leider nicht mehr gibt. Wir wollten gerade das italienische Lokal betreten, als Omar Sharif in Begleitung aus dem französischen Restaurant trat. Ich erkannte ihn nicht gleich, aber mein Freund Terrence wusste sofort, wer da auf den Fahrstuhl zuging, aus dem wir gerade herausgekommen waren. Er handelte instinktiv, ging auf Omar Sharif zu und gab ihm die Hand. Es war ein kurzes, freundliches Geplauder auf Französisch und dann war der Weltstar im Lift verschwunden. Ich konnte nur staunen.

Ein paar Jahre später sah ich ihn wieder. Dieses Mal war ich mit einer Gruppe Freunden im Abu Seid in Zamalek zum Abendessen verabredet, damals eines der beliebtesten ägyptischen Restaurants der Stadt. Als ich das Lokal betrat, an dessen Wänden nostalgische Porträts der großen Stars Ägyptens aus dem 20. Jahrhundert hängen, sah ich ihn sofort. Er saß an einem großen, runden Tisch direkt am Eingang. Wir bekamen einen Tisch weiter hinten im Raum, doch später am Abend musste Omar Sharif direkt an unserem Tisch vorbei. In unserer Runde befanden sich außer einem Freund nur Mädchen. Omar Sharif kam an unserem Tisch vorbei, lächelte uns freundlich an, blieb kurz stehen und klopfte dem Jungen anerkennend auf die Schulter. „So gut hätte ich es auch mal gerne“, scherzte er und lachte herzlich. Wir waren alle sofort verliebt. Eine meiner Freundinnen fasste sich ein Herz und fragte, ob es in Ordnung sei, wenn wir mit ihm ein Foto machen würden. Ich hatte das Gefühl, es schmeichelte ihn ungemein, dass ihn in seinem Alter noch so junge Mädchen nach einem Foto fragten. Wir waren Anfang 20, er etwa Mitte 70. Seine ganz großen Erfolge – Doktor Zhivago und Lawrence von Arabien – lagen Jahrzehnte zurück. Aber ich hatte Doktor Zhivago dutzende Mal gesehen, meine Schwester und ich waren als Kinder ganz vernarrt in dieses Melodram.

Damals, im Abu Seid drückte ich auf den Auslöser, während Omar Sharif meine Schwester und eine meiner besten Freundinnen im Arm hielt. Er genoss es sichtlich. Ich traute mich nicht, auch noch nach einem Foto zu fragen.

Aber Jahre später bekam ich dann meine Chance. Ich aß mit meiner Kollegin und Freundin Kristina Bergmann, damals Korrespondentin für die NZZ, in der „Trattoria“ in Zamalek zu Abend, einem kleinen Italiener, der von Tarek Sharif, dem einzigen Sohn Omar Sharifs betrieben wird. Durch Zufall war auch der berühmte Vater an diesem Abend zu Gast. Er saß mit seinem Freund Zahi Hawass, damals ägyptischer Antikenminister, zusammen und die Männer unterhielten sich angeregt. Wahrscheinlich hätte ich mich wieder nicht getraut – ich halte viel von Privatsphäre und finde es unangenehm, Menschen beim Essen zu stören. Aber Kristina, die schon etwa zwei Jahrzehnte in Kairo lebte, kannte zum einen Zahi Hawass und sammelte zudem schon seit Jahren Porträts mit bekannten Menschen aus der arabischen Welt, die sie während ihrer unzähligen Recherchen und Interviews traf. Sie ging also zu den beiden Herren hinüber und fragte, ob Omar Sharif bereit wäre, ein Foto mit ihr zu machen. Wieder war ich es, die auf den Auslöser drückte, aber dieses Mal nahm ich mir ein Herz und bat darum, als Gegenleistung auch ein gemeinsames Foto machen zu dürfen. Es war ein kurzes aber wieder sehr freundliches Zusammentreffen. Ja, und seine Augen funkelnden immer noch, obwohl er schon stark auf die 80 Jahre zuging. Er hatte nichts von seinem Charme und seiner Ausstrahlung eingebüßt.

Ich bin dankbar, ihn persönlich kennengelernt zu haben, auch wenn es immer nur kurze Zusammentreffen waren. Er war ein außergewöhnlicher Mann und der Held meiner Kindheit, in der ich von dem schönen, romantischen Doktor Zhivago schwärmte, obwohl der Film schon 1965 gedreht wurde. Wir müssen ihn zu Hause auf Videokassette gehabt haben und er gehörte zu den Filmen – darunter auch „Vom Winde Verweht“, „Annie“ und „A Chorus Line“ – die meine Schwester und ich immer wieder hervorkramten und nie müde wurden, noch einmal zu sehen. Jetzt ist dieser Held, diese Filmlegende gestorben. Er wird vermisst werden, vor allem von seinem einzigen Sohn Tarek, der innerhalb weniger Monate beide Eltern verloren hat. Faten Hamama, die große Liebe von Omar Sharif, die Frau, für die er zum Islam konvertierte, starb am 17. Januar diesen Jahres.

Omar Sharif und ich im Oktober 2010 in der Trattoria seines Sohnes Tarek
Omar Sharif und ich im Oktober 2010 in der Trattoria seines Sohnes Tarek

Alte Schönheiten

Es waren schon immer die alten Holztüren, die mich am allermeisten auf meinen Streifzügen durch die Städte und Dörfer Ägyptens fasziniert haben. Meist völlig vernachlässigt erzählen sie Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit. Für mich ist es gerade die Verwitterung und Patina, die sie zu etwas ganz Besonderem machen und ihnen in meinen Augen eine unverwechselbare Schönheit geben.

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Türen öffnen sich

Geben Einblick in Neues

Unbekannte Stadt

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