Außen- und Innenansicht

In den vergangenen Wochen wurde mir von verschiedenen Personen immer wieder die gleiche Frage gestellt: „Feierst Du Weihnachten?“ Eine Fragestellerin setzte noch ein „wenn ich fragen darf“ davor. Zuerst einmal sollte es jedem gestattet sein zu fragen. Ist ja keine unanständige Frage. Wir sollten endlich damit aufhören alles, was im weitesten Sinne mit Religion zu tun hat mit Samthandschuhen anzufassen. Es behindert meiner Meinung nach den Austausch untereinander und die Möglichkeit, sich näher kommen und füreinander Verständnis aufzubringen. Wer nicht fragt, der bleibt dumm. Das lernt schon jedes Kind in der Sesamstraße.

Erstaunlich fand ich die Frage zuerst einmal, weil sie sich für mich nie gestellt hätte. Natürlich feiere ich gemeinsam mit meiner Familie Weihnachten. Meine Mutter ist Deutsche, evangelisch erzogen, und meine Schwester und ich besuchten unsere ganze Schulzeit hindurch den evangelischen Religionsunterricht. Nicht aus tiefer religiöser Überzeugung, aber ich glaube es kam meinen Eltern nicht in den Sinn, uns vom Unterricht befreien zu lassen. Warum auch? Wir haben im Religionsunterreicht auch die anderen Weltreligionen behandelt sowie Ethik-Unterricht gehabt. Es hat uns auf jeden Fall nicht geschadet, auch wenn mir schon immer der philosophisch-ethisch-spirituelle Teil von Religion und Glaube mehr zugesagt hat als der theoretische des Buches. Ich glaube an keine der heiligen Schriften der Weltreligionen, die meiner Meinung nach alle politische Kreationen ihrer Zeit sind. Die Spiritualität eines Glaubens berührt mein Herz, lässt mich an etwas Höheres glauben, nicht die Autorität des Textes.

Schon unser Kindergarten war an eine evangelische Kirche angeschlossen und ich liebte das Erntedankfest in der Kirche, ebenso wie Besuche beim Krippenspiel und beim Weihnachtsmann. Obwohl bei uns zu Hause immer das Christkind kam, um die Geschenke zu bringen. Wenn die Glocke läutete wussten wir, dass es soweit war, das Christkind wieder davon geflogen war und wir den Weihnachtsbaum sehen durften. Was für ein schönes Ritual und wie dankbar ich meinen Eltern – allen voran meinem aufgeschlossenem Vater – dafür bin, uns dieses Geschenk gemacht zu haben. Wie soll man das seinem Kind auch erklären: Alle feiern, bekommen Geschenke und Du nicht? Es kommt natürlich noch ein wichtiger Faktor hinzu. Wir waren eingebettet in unsere deutsche Familie. Die Familie meines Vaters und jeglicher arabisch-muslimischer Einfluss waren sehr weit weg. Da war es ganz selbstverständlich, dass uns das Christentum näher war. Nicht aus Religiosität, aber weil eben Deutschland ein christlich geprägtes Land ist, in dem christliche und nicht muslimische Feiertage gefeiert werden und die meisten Jungen Christian und nicht Mohammed heißen.

Doch natürlich verstehe ich die Frage nach meiner Religionszugehörigkeit oder danach, ob ich Weihnachten feiere. Allerdings erst auf den zweiten Blick, wenn ich die Außenansichts-Brille aufsetze. Denn ich habe festgestellt, dass meine Innenansicht auf mich und mein Leben eine völlig andere ist, als das, was die Menschen von außen sehen oder projizieren. Allein mein Name lässt darauf schließen, dass ich möglicherweise Moslem bin. Ich heiße nicht Schmidt oder Müller sondern El Ahl.

Ich finde es interessant zu sehen, was Hautfarbe und Namen mit einem Menschen machen, wie wir alle sofort Schubladen öffnen, sortieren, einordnen. Ohne böse Hintergedanken, das geschieht wahrscheinlich ganz automatisch, wir sind darauf geeicht.

Wo kommst Du her? Das ist auch so eine Frage. Wenn ich dann wahrheitsgemäß antworte, dass ich aus Kassel komme, schauen die meisten erst einmal leicht irritiert. Denn natürlich passe ich mit meinen dunklen Augen und Haaren eher nach Italien als nach Nordhessen und werde oft für eine Südeuropäerin gehalten. In Spanien falle ich nicht weiter auf. In Nordhessen schon eher.

Aber auch in Ägypten werde ich nicht sofort als Dazugehörig eingeordnet. Ich habe zwar viel von meinem ägyptischen Vater, aber trotzdem steckten in mir natürlich deutsche Gene. Für die Ägypter bin ich zu Europäisch, zu groß, zu schlank, mit anderem Habitus als Ägypter und sicherlich auch subtileren Merkmalen, die sich nicht so leicht erklären lassen. Es ist auch die Art wie man sich verhält, wie man geht und schaut. Es sind meist die feinen kulturellen Eigenarten, die völlig unterbewusst ablaufen und einen von Anderen unterscheiden.

Ich bin fest davon überzeugt, dass ich in Ägypten – trotz meiner dunklen Haare und Augen – eher als „Fremde“ wahrgenommen werde als in Deutschland. Hier ist meine Heimat, hier muss ich nicht nachdenken über die feinen kulturellen Eigenarten, die ein Volk von einem anderen unterscheidet. Sie sind in meiner DNA, ich habe sie mit der Muttermilch aufgesogen. Hier bin ich wie ein Fisch im Wasser, muss nichts erklären und nicht über jeden Schritt den ich tue nachdenken. Ich denke und handele Deutsch. Zumindest meist. Denn natürlich werden in mir immer zwei sehr unterschiedliche Welten schlummern, die beide zu mir gehören und mich ausmachen.

Mein Vater hat zu uns Kindern immer gesagt: „Wir nehmen das Beste aus beiden Welten, tun es zusammen und kreieren damit etwas Neues.“ Ich weiß nicht ob er wusste, wie recht er damit hat. Beide Kulturen gehören zu mir und machen mich aus. Durch ihre Vermischung werde ich erst zu einem Ganzen.

Aber wenn es um Weihnachten geht, da bin ich ganz Deutsch. Da freue ich mich auf Vanillekipferl und Kerzen, das Schmücken des Weihnachtsbaums (der dieses Jahr besonders hübsch ist), die Bescherung sowie Gans mit Rotkohl im Kreise meiner Familie.

In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!

Lieber Sonne statt Nordpol

Als Kinder haben wir gelernt, dass der Weihnachtsmann am Nordpol lebt. Ergibt ja auch Sinn. Mit seinem dicken Rauschbart, den warmen Stiefeln und der roten mit weißem Pelz besetzten Kutte wäre es ihm überall anders wohl zu heiß. Doch dann kam dieser heiße Tag Anfang September, der alles auf den Kopf stellen sollte, was ich jemals über den Weihnachtsmann gelesen und gehört hatte. Ich war im Libanon zu Besuch und genoss die leichte Brise in den Bergen oberhalb von Saida im Süden des Landes, als mir plötzlich eine kleine, rundliche Figur mit Rauschbart und rotem Gewand auffiel, die unscheinbar in einer Ecke der Terrasse stand, auf der ich saß. Ich wollte meinen Augen nicht trauen, aber auch bei näherem Hinsehen blieb die Figur, was sie war: Ein grinsender Weihnachtsmann. Ich war schockiert. Wie konnte jemand auf die irrsinnige Idee kommen, eine Weihnachtsmann-Figur mitten im Sommer auf die Terrasse zu stellen? Es gehörte sich nicht und die Figur passte hier auch nicht her. Ich assoziierte den Weihnachtsmann automatisch mit Schnee, Kälte und leuchtenden Kinderaugen am Weihnachtstag. Nicht mit Sonne, Hitze und Jasminbüschen im Hintergrund. Also wirklich. Doch je länger ich darüber nachdachte, desto mehr leuchtete mir ein, warum sich niemand an der Figur auf der Terrasse störte, sie nicht beachtet und wenn überhaupt, als lustige Dekoration empfunden wurde. Hier, an diesem Ort und in diesem Haus, hatte der Weihnachtsmann einfach gar keine Bedeutung. Hier wurde kein Weihnachten gefeiert und nichts mit ihm assoziiert. Hier war er einfach nur ein Mann mit weißem Rauschbart der nett und gemütlich aussah und ein wenig Farbe in die Dekoration brachte. Die Figur des Weihnachtsmannes hatte hier keine Rolle zu spielen, war keine Symbolfigur für das weihnachtliche Schenken und somit funktions-, ergo arbeitslos. Sie konnte einfach da stehen, Winter wie Sommer und war unbelastet von Ansprüchen, Wünschen und Taten. Der Weihnachtsmann war hier kein Kulturgut, das bestimmte Assoziationen hervorruft und Aufgaben zu erfüllen hat wie in der westlichen Welt. Je mehr ich darüber nachdachte, desto logischer wurde alles. Und plötzlich kam mir dieser Gedanke: Was, wenn der Weihnachtsmann den Sommer gerne in wärmeren Gefilden verbringt, genau wie alle anderen Leute auch?! Einfach mal ab in die Sonne, dem kalten Norden entfliehen und die Seele baumeln lassen. Bevor es dann ab Oktober mit den Bestellungen losgeht und die Aufwärmphase für den Weihnachtsstress beginnt. Es soll ihm gegönnt sein und dieser Gedanken versöhnte mich schlagartig. Wenn ich jetzt an die Weihnachtsmann-Figur auf der Terrasse irgendwo in den Bergen im Süden des Libanon denke muss ich schmunzeln. Soll er doch seinen Spaß haben, der Weihnachtsmann, wie wir alle.

Der Weihnachtsmann schiebt eine ruhige Kugel im Libanon
Der Weihnachtsmann schiebt eine ruhige Kugel im Libanon