Wenn ganz Kairo im Sommer mit Sack und Pack an die Nordküste emigriert – inklusive der angesagtesten Kunstgalerien, Bars und Restaurants – weil die Stadt am Nil einfach zu heiß wird für ein angenehmes Leben, dann emigriere ich zurück nach Europa. Wenn man dann nach dem, zugegeben dieses Jahr sehr langen Sommer, zurück nach Kairo kommt kann es vorkommen, dass sich so einiges geändert hat womit man nie im Leben gerechnet hätte. So fuhr ich vergangene Woche an einem Samstagnachmittag durch das Stadtzentrum hinter dem Tahrir-Platz Richtung Alt-Kairo und traute meinen Augen kaum. Ich war so schnell am Bazar wie sonst nur an einem Freitagmorgen vor dem großen Gebet, wenn die Welt in Kairo noch am Schlafen ist. Weit und breit waren keine fliegenden Händler mehr zu sehen, die in den vergangenen Jahren die Straßen zunehmend bevölkert und für Autos fast unpassierbar gemacht hatten. Auch am Straßenrand parkende Autos waren nirgends zu sehen. Dafür waren die großen Ampeln wieder alle im Betrieb und wurden sogar beachtet. Nur von meinem deutschen Bekannten nicht, der als Einziger über Rot fuhr, weil das sonst ja auch immer alle gemacht hatten. Er hatte die neue Entwicklung, die von der Regierung durchgesetzt worden war, während der Sommermonate in Deutschland wohl auch nicht mitbekommen. Ich rieb mir erstaunt die Augen und suchte nach der versteckten Kamera. Stattdessen fand ich am Tahrir-Platz eine neue Busstation mit neuen, sauberen Bussen über der neuen Tiefgarage, an der jahrelang gearbeitet worden war. Ab jetzt müssen alle, die ins Zentrum wollen ihr Auto dort parken und können dann mit einem der Busse in die Innenstadt fahren. Natürlich kommt man mit dem Auto noch durch die Stadt, nur wildes Parken ist nicht mehr erlaubt. Es kommt einem Wunder gleich, denn plötzlich sind die großen Boulevards, die ebenso wie die Häuser der Innenstadt von französischen Architekten entworfen wurden, auch wieder als solche erkennbar. Aber nicht nur das Stadtzentrum ist sauberer, auch in meinem Viertel gibt es eine interessante Neuerung. So gibt es eine neue Order der Regierung die besagt, dass jedes Geschäft eine Mülltonne vor der Tür stehen haben muss, sonst gibt es eine saftige Strafe. Was dann später mit dem Müll in der Tonne geschieht steht zwar auf einem anderen Blatt, aber zumindest ist es ja schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Nur den großen, alten Baum vor meiner Terrasse werde ich schmerzlich vermissen. Der ist – warum auch immer – nämlich dem Aufräumwahn der Ägypter über die Sommermonate leider auch zum Opfer gefallen. Jetzt müssen sich die Papageien, die mir sonst immer beim Frühstück Gesellschaft geleistet haben, eine neue Heimat suchen.
Die Sache mit der Hygiene
Im Juni besuchte der ägyptische Ministerpräsident zwei Krankenhäuser in Kairo, und er war schockiert von dem was er sah. Überraschend, denn kein Ägypter wäre an seiner Stelle schockiert gewesen. Alle wissen, wie schlecht es um den Zustand der öffentlichen Einrichtungen in Ägypten steht. Als Antwort auf die Unwissenheit des Ministerpräsidenten erstellten ägyptische Ärzte eine Facebook-Seite, auf der sie Fotos von den Verhältnissen in ägyptischen Krankenhäusern posteten. Die Bilder zeigen kranke Menschen, die auf den Fluren von Krankenhäusern liegen – auf dem Boden. Blut, das auf den Böden gerinnt. Müllberge. Tiere, die es sich auf den Stationen gemütlich machen. Viele Menschen taten es den Ärzten nach und erstellten ihre eigenen Facebook-Seiten, um dem Ministerpräsident zu zeigen, wie es so in den Amtsstuben, Universitäten und Gerichten aussieht. Sie alle haben den gleichen Namen: „Damit er nicht überrascht ist, wenn er zu Besuch kommt.“ Die Ägypter waren schon immer berüchtigt für ihren sarkastischen Witz. Zugleich ist es eine harsche Kritik an den Regierenden, die von jeher in Ägypten in einer anderen Welt leben als die große Masse der Menschen. Es ist die Anklage an der totalen Vernachlässigung und dem Versagen der öffentlichen Hand. Kanäle, um Missstände zu äußern, gab es früher nicht. Heute nutzen die Menschen soziale Medien. Auch ich habe Arztbesuche in Ägypten immer gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Nicht, dass es in Ägypten keine guten Ärzte gäbe, ganz im Gegenteil. Viele haben ihre Ausbildung im Ausland gemacht und arbeiten mit den neuesten Techniken. Aber meine deutsche Vorstellung von Hygiene steht mir da im Weg. Dabei bin ich natürlich schon in einer privilegierten Situation und kann mir die besten Ärzte leisten. Doch auch da läuft nicht immer alles so, wie man es sich wünschen würde. Vor ein paar Jahren musste ich zu einer Untersuchung, die keinen Aufschub duldete. Ich ging zu einem der besten Ärzte des Landes. Der Mann war nach der Revolution mal kurzzeitig Gesundheitsminister gewesen und saß jetzt wieder in seinem schweren Ledersessel hinter einem massiven Holztisch, auf dem Holzkisten mit Cohibas lagen. Ich musste lange warten und irgendwann meldete sich meine Blase. Ich vermeide es auch tunlichst, in Ägypten öffentliche Toiletten aufzusuchen. Manchmal lässt es sich aber nicht vermeiden. Die Toilette sah auch gar nicht so übel aus. Nur leider hatte jemand wohl nicht ganz verstanden, wozu das Klo da ist und sein großes Geschäft davor erledigt. Ich stolperte rücklings wieder hinaus und dann ging es auch wieder mit der Blase. Der Schock. Die Frage ist: auf welchem Parallelstern lebt um Gottes Willen der gute Ministerpräsident?!