Cairo Short Stories

Vergangenen Freitag auf der Buchmesse in Frankfurt. In Halle 5.0 im Weltempfang haben sich sechs junge Schriftsteller zusammengefunden. Drei junge Frauen aus Ägypten, zwei junge Männer und eine junge Frau aus Deutschland sprechen eine Stunde lang über ihre Erfahrungen als Jung-Schriftsteller. Titel der Veranstaltung „Cairo Short Stories trifft sexyunderground“. Nahla Fahmy, Asmaa Elshikh und Arig Gamal Mohamed aus Ägypten haben im Frühjahr an einer Workshop-Reihe im Goethe-Institut Kairo teilgenommen, die den Titel „Cairo Short Stories“ trug. Durch eine Anzeige in der Literaturzeitung Akhbar al-Adab habe sie von dem Workshop erfahren und sich beworben, erzählt Nahla Fahmy. Sie war eine von elf ägyptischen Nachwuchsautoren die zwischen Februar und Mai in drei mehrtägigen Workshops unter der Leitung des Schriftstellers Abbas Khider im Goethe-Institut Kairo ihre Texte erarbeitete. Eine arabischsprachige Jury aus renommierten Literaturexperten hatte die sechs Frauen und fünf Männer aus ganz Ägypten zuvor aus 118 Bewerbungen ausgewählt und anschließend die drei besten Geschichten gekürt. Das Literaturprojekt ist in diesem Jahr von der KfW Stiftung zusammen mit LITPROM – Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. – und dem Goethe-Institut Kairo initiiert worden, um den Dialog mit der arabischen Welt zu stärken.

Dr. Ulrich Schröder zeichnet Arig Gamal Mohamed mit dem Förderpreis der KfW Stiftung aus
Dr. Ulrich Schröder zeichnet Arig Gamal Mohamed mit dem Förderpreis der KfW Stiftung aus

„Das schöne an dem Workshop war, dass wir in Austausch treten und immer neue Ideen aufwerfen konnten“, sagt Asmaa Elshikh. Am Ende wurde die Kurzgeschichte „at-tanin“ (Sirren) von Arig Gamal Mohamed als beste Arbeit prämiert. Dafür wurde die Schriftstellerin am Donnerstag vergangener Woche auf der Buchmesse in Frankfurt vom Vorstand der KfW Stiftung Dr. Ulrich Schröder mit dem Förderpreis der KfW Stiftung ausgezeichnet, bevor sie am Freitag mit den zweit- und drittplatzierten Nahla Fahmy und Asmaa Elshikh auf dem Podium saß und über das Schreiben sprach. Auf die Frage des Moderators Matthias Göritz, ob sich durch den Preis für sie etwas verändert habe sagte Arig Gamal Mohamad: „Er ist eine Ermutigung auf dem literarischen Weg weiterzumachen“. Denn Schreiben, da waren sich die drei jungen Frauen einig, ist ihre Passion. „In jeder Straße in Alexandrien findet man einen Macher, jemanden der etwas kreiert“, sagt Asmaa Elshikh, die aus der Mittelmeerstadt stammt. „Ich muss jeden Tag schreiben, sei es in mein Tagebuch oder im Internet. Bloggen hilft mir sehr viel, aber das Feedback muss man richtig einordnen können.“

Denn gerade bei sogenannten Tabuthemen würden insbesondere Schriftstellerinnen oft mit dem von ihnen produzierten literarischen Inhalt gleichgesetzt. „Wenn eine Frau in Ägypten über bestimmte Dinge schreibt wird sofort davon ausgegangen, dass sie diese auch selber erlebt haben muss“, sagt Nahla Fahmy. Das zöge sich bis in literarische Kreise hinein, wo selbst Schriftsteller keinen Unterschied zwischen der realen Person der Schriftstellerin und dem von ihr produzierten literarischen Inhalt machen würden. Doch für sie habe das keinen Einfluss auf ihr Schreiben. „Wenn ich schreibe habe ich keine Angst, ich schreibe mutig und rücksichtslos, als wenn ich nur für mich schreiben würde“, sagt Nahla Fahmy. Eine einzige Ausnahme gäbe es jedoch: ihre Familie. „Wenn es zum Publizieren kommt mache ich mir Sorgen darüber was meine Familie davon hält. Alle anderen interessieren mich nicht.“ So habe sie einmal über eine Frau geschrieben, die aus dem Fenster gesprungen sei, um sich umzubringen. Tatsächlich sei sie selber vor langer Zeit einmal aus dem Fenster gefallen. Nachdem die Geschichte erschienen war, reagierte ihre Familie bestürzt und fragte schockiert, ob sie sich damals tatsächlich absichtlich aus dem Fenster gestürzt habe. In einem anderen Roman berichtet die Ich-Erzählerin ausführlich über das Onanieren. In Ägypten ein totales Tabu, vor allem für junge Frauen. „Das Buch hat meine Familie zum Glück noch nicht gelesen“, sagt Nahla Fahmy und lacht. Asmaa Elshikh stimmt ihrer Kollegin zu. „In unserer Kultur gibt es zum Beispiel auch bestimmte Wörter, die man als Frau nicht benutzen sollte, oder Themen, über die man nicht schreiben sollte, wie zum Beispiel Prostitution“. Nahlas Traum ist dann auch, dass sie nicht nur einmal den Nobelpreis gewinnt, sondern ihre Familie ihr auch die Freiheit lässt zu schreiben und nicht zu viel darüber redet. Asmaa wünscht sich, immer die richtige Geschichte zu finden und Arig träumt seit der Preisverleihung davon, dass „Sirren“ Reaktionen hervorruft und übersetzt wird. Die Chancen stehen gut, dass ihr Traum Wirklichkeit wird, denn eine Übersetzung ins Deutsche ist schon erfolgt und soll demnächst publiziert werden. Außerdem ist schon die Publikation der elf in den Workshops entstandenen arabischen Texte in Vorbereitung. Die Anthologie wird bei Sefsafa Publishing in Kairo erscheinen.

2015 wird es in Kairo einen zweiten Durchgang von Cairo Short Stories geben; für die Folgejahre ist eine Fortsetzung in weiteren Städten im Nahen Osten geplant.

Cairo Short Stories trifft sexyunderground auf der Buchmesse Frankfurt
Cairo Short Stories trifft sexyunderground auf der Buchmesse Frankfurt

Und täglich grüßt der Stromausfall

Letzte Woche irgendwo in Deutschland. Ein Ägypter und ein Deutscher sitzen in einem Hotel beim Frühstück. Plötzlich fällt der Strom aus. Der Deutsche schreckt von seinem Müsli auf: „Strom weg!“ Der Ägypter schaut ihn erstaunt an und fragt etwas gelangweilt: „Ja, und?“

Stromausfälle gehören für die Ägypter mittlerweile zum Alltag. Im Sommer, der dieses Jahr besonders heißt und lang war, fiel der Strom täglich für mehrere Stunden aus. Nicht nur in den Armenvierteln, sondern auch in den Gegenden, wo die Reichen und Schönen wohnen. Stromausfall bei über 40 Grad bedeutet, dass keine Klimaanlage, kein Ventilator, kein Kühlschrank und auch das Internet nicht funktionieren. Wer seine Computer und Telefone nicht rechtzeitig vollgeladen hat, steht ohne jegliche Verbindung zur Außenwelt da. Normalität herrscht so selten, auch Arbeiten geht nur eingeschränkt. Die ohnehin schon angeschlagene ägyptische Wirtschaft leidet noch mehr und die Menschen werden mürbe gemacht.

An einem heißen Morgen Anfang September saß ich im Goethe-Institut für die Recherche einer Geschichte. Bei mir zu Hause war der Strom schon früh am Morgen ausgefallen. Ich war also froh, das Haus zu verlassen. Was ich bis dahin nicht wusste war, dass gleich zwei Umspannwerke an diesem Morgen ausgefallen waren und ganze Teile des Landes ohne Strom waren. Zwei U-Bahn-Linien waren ausgefallen, tausende Menschen steckten fest und kamen viel zu spät zur Arbeit. Das eh schon chaotische Kairo war noch chaotischer als sonst. Zu besagtem Termin im Goethe-Institut trudelten die Teilnehmer nur langsam ein. Gegen Mittag fiel auch dort der Strom aus. Niemand nahm davon Notiz. Es wurde einfach weitergemacht im Programm. Erst als vier Stunden später der Strom immer noch nicht wieder da war und es langsam dämmrig wurde, mussten wir uns einen helleren Raum suchen, um noch unsere Notizen lesen zu können. Der beliebteste Mann an diesem Tag war derjenige, der seine portable Ladestation dabei hatte, mit der sich elektronische Geräte wie Tablets und Telefone aufladen lassen. Ich schaue mich mittlerweile bei jedem Flug zurück nach Kairo im Duty Free nach so einer Station um. Besonders toll finde ich die kleinen runden Teile, die wahlweise in Pink, Hellblau und Gold angeboten werden und aussehen wie Lippenstifte. Perfekt für die Damenhandtasche einer Frau von Welt! So verbringe ich die Wartezeit am Flughafen. Die Zeiten, als ich mich durch die Kosmetikabteilung gecremt habe, sind vorbei. Ladegeräte sind meine eine Obsession zurzeit. Die andere ist die Frage der Bevölkerungsexplosion, die ich prophezeie. Denn der Strom fällt mit Vorliebe abends aus, wenn alle zu Hause sind. Lesen und Fernsehschauen fällt also flach. Wetten, dass ich im kommenden Jahr über den sich anbahnenden Babyboom berichten werde!?

So gemütlich kann es aussehen, wenn abends in Kairo der Strom ausfällt
So gemütlich kann es aussehen, wenn abends in Kairo der Strom ausfällt

Hinter dem Paradies

Hinter dem Paradies. Der Titel des Buches von Mansura Eseddin hat bei mir große Erwartungen geweckt. Zum einen dieser Titel. Wie ein Versprechen auf ein großes Geheimnis, eine Verlockung. Zum anderen, weil ich endlich – nach langer Zeit mal wieder einen Roman über Ägypten lesen wollte. Hinzu von einer jungen Ägypterin, die ich als Moderatorin dieser Veranstaltung: Das Literarische Colloquium Berlin (LCB) und Goethe-Institut Kairo; Verlagsmetropole Kairo, Zeitgenössische Deutsche Literatur in Kairo. Eine Podiumsdiskussion mit Autoren aus Deutschland und Ägypten über die „Herausforderungen des Schreibens“ kennengelernt habe. Ich war also gespannt.

Der Roman beginnt furios, der erste Satz schon ein emotionaler Ausbruch. „Wie eine Furie stürmte Salma Raschid die acht Stufen des Hauses hinunter.“ Der zweite Absatz treibt die Emotion weiter voran: „Sie schien wie von unbekannten Kräften, von einer Obsession getrieben. Mit einiger Mühe öffnete sie die Kiste, holte die Papiere heraus, die darin lagen, musterte sie eins ums andere und legte sie dann zurück. Sie goss einige Spritzer Kerosin darüber und setze das Ganze ohne den geringsten Anflug eines Zögerns in Brand.“

Meine Neugier war natürlich sofort geweckt. Was waren das für Papiere, die Salma, die Protagonistin des Buches, so wütend machten, dass sie die gesamte Holzkiste in Brand setze? Die gesamte Geschichte, dachte ich, würde sich auf diese Frage konzentrieren und mir spätestens am Ende des Romas diese Frage beantworten. Leider wurde ich enttäuscht. Meine Frage wurde mir nie beantwortet. Dafür kamen im Laufe der Lektüre immer neue Fragen hinzu und ließen mich immer ratloser zurück. Keine der vielen Figuren, die Teil dieses Familienromans sind, gingen mir nahe, mit niemandem konnte ich mich identifizieren, niemanden verstehen.

Mansura Eseddin spannt in ihrem Familienroman, der im Nildelta spielt, den Bogen über Generationen. Vom Großvater über Vater, Onkel und schließlich bis hin zu Salma und Gamila, den zwei Protagonistinnen der dritten Generation. Dabei beginnt Mansura Eseddin immer wieder neue Erzählstränge, wechselt ständig zwischen verschiedenen Personen dieser großen Familie, springt zwischen Erinnerungen, Traum und Geschichten. Hinzu kommt, dass Mansura Eseddin auch immer wieder Zeitsprünge einbaut, von einem Satz zum nächsten von der Vergangenheit in die Gegenwart springt. Sie beginnt eine Geschichte, löst sie aber nicht auf und wechselt zur nächsten. Damit hinterlässt sie mich als Leser verwirrt und unzufrieden zurück.

Ich bekam weder eine Erklärung der verworrenen Persönlichkeit Salmas, noch warum sie so eine ambivalente Beziehung zu ihrer Kindheitsfreundin Gamila hat. Auch Gamila blieb mir fern, obwohl sie einen faszinierenden Lebensweg hinter sich hat.

Trotzdem würde ich ‚Hinter dem Paradies’ empfehlen, vor allem Menschen, die Ägypten – und im Besonderen das Leben auf dem Land – nicht kennen. Denn ‚Hinter dem Paradies’ gibt einen Einblick in die Welt und die Seele der Ägypter, wie sie denken, fühlen und agieren. Man erlebt, wie Schichten und Hierarchien in dieser komplexen Gesellschaft funktionieren, welchen Einfluss der Aberglaube auf die Menschen in Ägypten hat (einen großen, so viel sei verraten), wie Männer und Frauen miteinander leben, welchen Einfluss die Geschlechterrollen auf das Leben haben und auch wie Sexualität und Macht ausgelebt und benutzt werden. Diese Beschreibungen gehören für mich zu den interessantesten und mitreißendsten des Buches, und auch deshalb hoffe ich, dass ‚Hinter dem Paradies’ viele interessierte Leser findet.

Hinter dem Paradies von Mansura Eseddin
Hinter dem Paradies von Mansura Eseddin

WM-Fieber

Endlich hat die Fußball WM in Brasilien begonnen. Ich bin mit einem Fußball-verrückten, ägyptischen Papa aufgewachsen der uns beigebracht hat gegen einen Ball zu treten, bevor wir richtig laufen konnten. Mein Vater hat auch nie ein wichtiges – oder auch unwichtiges – Spiel verpasst und wir haben gerne mitgeschaut. Ich liebe dieses Spiel also seit Kindesbeinen, kann fast alle Regeln erklären und habe während des Studiums in London selbst im Uni-Team gekickt. Mittlerweile schaue ich mir das Spiel lieber vom Sofa aus an und besonders gerne dann, wenn auf so hohem Niveau gespielt wird wie bei der Weltmeisterschaft. Nur leider konnte ich bisher kaum Spiele anschauen, erst recht nicht von meinem Sofa aus. Denn ARD und ZDF haben aus lizensrechtlichen Gründen ihre Übertragung über den Satelliten einstellen müssen und auch sonst bekomme ich keinen Sender rein, der frei ausstrahlt. FIFA sein Dank. Hier ein sehr sehenswertes Video zum Thema FIFA und Sepp Blatter, an den ich seitdem nur noch im Zusammenhang mit Dagobert Duck denken kann. John Oliver spricht mir aus der Seele – und ist dabei auch noch unglaublich witzig. O-Ton: „FIFA ist einfach entsetzlich. Und dennoch, hier ist ihre Stärke: Ich freue mich trotzdem so unglaublich auf die Weltmeisterschaft.“

http://www.youtube.com/watch?v=DlJEt2KU33I

Ich müsste mir also – damit FIFA noch mehr Geld verdient – einen Dekoder für die arabischen Sportsender kaufen oder in eines der zahlreichen Cafes oder Restaurants in Kairo gehen, die eben solchen haben und alle Spiele zeigen. Leider habe ich bisher noch niemanden finden können, der Lust auf Fußball hat. Alleine in einem Restaurant Fußball zu schauen ist dann doch etwas seltsam. Vor allem in Ägypten – als Frau. Ich hätte niemals vermutet, dass es in meinem Bekanntenkreis kaum Fußballbegeisterte gibt. Wie geht das denn? Wie kann man überhaupt Fußball nicht toll finden? Ich dachte immer, die Ägypter seien Fußball-verrückt. Im Libanon hätte ich das Problem bestimmt nicht gehabt. Als ich neulich zu Besuch war, ist der Libanon in Vorfreude auf das Spektakel in Brasilien fast in einem Fahnenmeer ersoffen. Überall die Fahnen der teilnehmenden Mannschaften, an Häuserwänden und vor allem an fast allen Autos. Kein Platz am liebsten Spielzeug der Libanesen, an dem man keine Fahne anbringen könnte: Um den Außenspiegel gewickelt, im Fenster, als Wimpel oder gleich über den gesamten Kotflügel gespannt. Noch nie in meinem Leben habe ich so viele deutsche Fahnen auf so engem Raum gesehen. Einer hatte auf seinen Kotflügel sogar die Zeder, das Nationalsymbol des Libanons geklebt, allerdings in den deutschen Farben statt den rot-weiß-grünen des Libanons. Würde im Libanon abgestimmt, wer Weltmeister werden soll, würde bestimmt Deutschland gewinnen. Das macht mir das Land ja noch sympathischer, als es mir ohnehin schon ist.

Heute Abend werde ich mir das Auftaktspiel der deutschen Mannschaft gegen Portugal im Hof des Goethe-Instituts in Downtown auf Großleinwand anschauen. Es wird kaltes Bier geben, viele Fußballbegeisterte und die Vorfreude ist groß. Endlich geht es los. Mein Tipp: Deutschland gewinnt 2:1 und eines der beiden Tore schießt mein Lieblingsspieler Thomas Müller. Wetten?