Ein Mädchen wehrt sich

Es ist ein sich jährlich wiederholendes Drama: Wenn die Zeit der Abiturprüfungen hereinbricht, steht Ägypten Kopf. Es gibt dann kaum ein anderes Thema mehr, sogar in Zeitungen und im Fernsehen wird darüber berichtet. Die Abiturienten stehen in ihrem letzten Jahr an der Schule unter immensem Zeit- und Prüfungsstress, der sich meist auf die ganze Familie niederschlägt. Alle sind angespannt, es wird bis nachts gelernt und meist müssen die Familien noch viel Geld für Nachhilfestunden ausgeben, weil sonst das Pensum nicht geschafft werden kann. Geschichten von verzweifelten Schülern, die sich das Leben nehmen wollen, gibt es jedes Jahr aufs Neue. Denn ohne ausreichend gute Noten gibt es kaum Hoffnung darauf, an einer Universität angenommen zu werden und einen Job zu finden. Doch in diesem Jahr ist es die Geschichte eines jungen Mädchens aus einem kleinen Dorf in Oberägypten, das ganz Ägypten in Atem hält. Mariam Malak war immer eine Einser-Schülerin, erreichte in allen Prüfungen in der Vergangenheit fast 100 Prozent der zu erreichenden Punkte. Sie war eine Musterschülerin. Doch dann kam die große Abschlussprüfung, und als Mariam die Resultate bekam, fiel sie vor Schreck in Ohnmacht. In allen sieben Prüfungsfächern erhielt sie null Punkte. Als sie die Prüfungsantworten einsah, weil sie nicht glauben konnte, was geschehen war, traute sie ihren Augen nicht. Statt der vollgeschriebenen Seiten, die sie abgegeben hatte, bekam sie fast leere Seiten gezeigt. Zudem geschrieben in einer ihr fremden Handschrift.

Die Familie vermutet, dass Mariams Prüfungen mit denen eines schlechteren Schülers vertauscht worden sind, der einflussreiche Eltern hat. Sie beschwerten sich bei der zuständigen Schulbehörde. Doch erfolglos: Die Beamten machten zwar einen ersten Handschriftenvergleich – stellten aber angeblich keine Auffälligkeiten fest.

Doch Mariam will kämpfen. Sie ist sich sicher, Opfer von Korruption geworden zu sein. Inzwischen glauben das auch die meisten Ägypter, denn Mariams Geschichte ist mittlerweile Thema in nationalen und internationalen Zeitungen. Sogar im ägyptischen Fernsehen war Mariam zu Gast. Die Schülerin hat nun auch Unterstützung aus der Politik bekommen. Der gerade zurückgetretene Premierminister will sich ihrer „wie einer eigenen Tochter“ annehmen und mehrere prominente Ägypter haben angeboten, Mariam ihre weitere Schulbildung zu finanzieren. Mariam will Ärztin werden. Doch jetzt hat sie es erst einmal mit dem korrupten, ägyptischen Bildungssystem aufgenommen und ganz Ägypten drückt ihr die Daumen, dass sie es in die Knie zwingt.