Zurzeit befinde ich mich in der Sommerfrische in meiner Heimat Kassel. Es ist August und die Hitze in Kairo, zumindest für mich, derzeit einfach unerträglich. Knapp 40 Grad und schwül, dazu täglich bis zu vier Stunden Stromausfall, das hält keine Socke aus. Vor allem keine deutsche, die den Regen und den kühlen Wald liebt. Ich sage immer: 24 Grad sind perfekt für mich. In Deutschland schaffen wir die zwar derzeit auch nicht, aber ich ziehe den Regen, die Wolken und die kühlen Temperaturen der schwülen Hitze in Kairo jederzeit vor.
Um trotzdem ein wenig Kairo-feeling zu bekommen, bin ich am Wochenende in einer Ausstellung im Museum Fridericianum in Kassel gewesen. Seit Anfang Mai lief dort die erste institutionelle Einzelausstellung der ägyptischen Künstlerin Maha Maamoun, „The Night of Counting the Years“, kuratiert von Nina Tabassomi. Maha Maamoun, die vom ArtMag der Deutschen Bank „eine der wichtigsten Künstlerinnen Ägyptens“ genannt wird, wurde 1972 in Kalifornien geboren und kam erst mit fünf Jahren nach Kairo, wo sie seitdem lebt und arbeitet. Ihre Arbeiten wurden international in zahlreichen Institutionen und auf Biennalen gezeigt. 2009 wurde ihr Film Domestic Tourism II auf der Sharjah Biennale 9 mit dem Preis der Jury ausgezeichnet. Darüber hinaus hat Maha Maamoun zahlreiche Ausstellungen ko-kuratiert und ist Gründungsmitglied der Contemporary Image Collective (CIC) in Kairo.
Die Ausstellung in Kassel konzentrierte sich auf die Filme der Künstlerin, mit denen sie bestehendem Bild-, Text- und Tonmaterial Geschichte injiziert. In ihren Filmen durchforstet sie „das kulturelle Imaginäre nach historiografischen Klammern für die Gegenwart“, schreibt Nina Tabassomi in einem Vorwort im Ausstellungskatalog. In Domestic Tourism II (2008) werden so zum Beispiel „Cameo-Auftritte der Pyramiden von Gizeh im ägyptischen Kino seit den 1950er Jahren aneinandergereiht. Dabei avanciert das antike Weltwunder in seiner Funktion als Kulisse, vor der nationale, individuelle und sexuelle Identitätsfragen im ägyptischen Mainstreamkino verhandelt werden, zum Protagonisten eines dramatischen Spielfilms.“ Es sind immer die ganz großen Themen, die vor der Kulisse der Pyramiden behandelt werden: Liebe, Herzschmerz, Krieg. So sieht man in den 60 Minuten Film zum Beispiel den großen Romantiker des ägyptischen Kinos, Abdel Halim Hafez, wie er in einer Picknick-Szene auf dem Gizeh-Plateau einer jungen Frau seine Liebe gesteht. In der nächsten Szene fliegen Bomben über Kairo hinweg und natürlich auch über die antiken Weltwunder, Spione werden über das Plateau gejagt und eine verzweifelte Frau erklimmt in einem weiterem Schwarz-Weiß-Film die große Pyramide, um sich das Leben zu nehmen. Maha Maamoun hat dabei auch bei der Aneinanderreihung der Filmszenen eine Pyramidenform gewählt, in dem sie die Ausschnitte chronologisch zuerst in aufsteigenden, dann wieder absteigenden Jahren gewählt hat.
Für mich war dieser Film der eindrücklichste der vier gezeigten Werke. Wahrscheinlich deshalb, weil ich das ägyptische Kino der 50er-, 60er und 70er Jahre liebe. Es erinnert mich an meine Kindheit. Damals gab es noch kein Satellitenfernsehen, und um uns Kinder der ägyptischen Sprache und Kultur näher zu bringen, ließ mein Vater Videobänder mit ägyptischen Filmen und Theaterstücken von Freunden und Bekannten mit nach Deutschland bringen. So lernte ich Abdel Halim Hafez, Faten Hamama, Omar Sharif, Ismail Yassine, Soheir al-Bably und viele andere ägyptische Schauspieler kennen und lieben. Noch heute ziehe ich einen alten Schwarz-Weiß-Film den neuen ägyptischen Kino-Produktionen vor. Die Ausstellung war insofern auch eine Zeitreise in meine Kindheit.
Die unmittelbare Vergangenheit durchlebte ich bei der Mehrkanal-Videoinstallation „Night Visitor: The Night of Counting the Years“ von 2011. In diesem achtminütigem Film reiht Maha Maamoun Handyaufzeichnungen aneinander, die sie auf You-Tube gefunden hat und alle das gleiche Thema behandeln: Die Erstürmung der Staatssicherheitszentralen in Kairo und Damanhour zwei Monate nach dem Sturz Hosni Mubaraks. Die Künstlerin hat Sequenzen aus dem Material extrahiert, neu zusammengesetzt, teilweise ihres Tones entledigt und so installiert, das ein Rundgang durch die Staatssicherheitszentrale suggeriert wird. „Maamouns Vorgehen, ihr Sichten und Umschreiben von Fundstücken des Gegenwartsarchivs Internet, korrespondiert mit dem emotionalen Durchwühlen der verlassenen Gebäude durch die Demonstranten“, heißt es im Ausstellungskatalog. Es ist ein bedrückendes Werk, das die vielen Jahre, in denen die Ägypter unter der Knechtschaft der Staatssicherheit leiden musste, offenbart. Man sieht Handschriften von Gefangenen, die unschuldig in Gefangenschaft verzweifeln und von der unfassbaren Ungerechtigkeit des Systems zeugen. Es geht der Künstlerin aber bei all dem nicht darum, Mitleid zu erzeugen, sondern die Komplexität von Kulturgeschichte und Schmerz zu dokumentieren. Ein ruhiges, tonloses und dadurch umso erschütternderes Werk von Maha Maamoun.
Auch das aktuellste Werk in der Ausstellung behandelte das Thema Überwachung. Im Ausstellungskatalog heißt es dazu: „In ihrem jüngsten Film Shooting Stars Remind Me of Eavesdropper (2013) werden keine Schauspieler und Szenen dirigiert, sondern Bild- und Tonaufnahmen aus dem al-Azhar-Park mit einem intimen Gespräch über Belauschen, Wahrheit und Vertrauen orchestriert.“ Wir sehen in diesem Film harmonische Szenen aus einem Park im Herzen Kairos, wo verliebte Paare miteinander Zeit verbringen, reden, spazieren gehen, sich nah sein können. Es sind intime, private Momente und doch reflektiert das fiktive Gespräch, das der Zuschauer hört, ein globales Phänomen. Das Phänomen der Überwachung, der wir alle überall auf dieser Welt ausgesetzt sind.