Lieber Sonne statt Nordpol

Als Kinder haben wir gelernt, dass der Weihnachtsmann am Nordpol lebt. Ergibt ja auch Sinn. Mit seinem dicken Rauschbart, den warmen Stiefeln und der roten mit weißem Pelz besetzten Kutte wäre es ihm überall anders wohl zu heiß. Doch dann kam dieser heiße Tag Anfang September, der alles auf den Kopf stellen sollte, was ich jemals über den Weihnachtsmann gelesen und gehört hatte. Ich war im Libanon zu Besuch und genoss die leichte Brise in den Bergen oberhalb von Saida im Süden des Landes, als mir plötzlich eine kleine, rundliche Figur mit Rauschbart und rotem Gewand auffiel, die unscheinbar in einer Ecke der Terrasse stand, auf der ich saß. Ich wollte meinen Augen nicht trauen, aber auch bei näherem Hinsehen blieb die Figur, was sie war: Ein grinsender Weihnachtsmann. Ich war schockiert. Wie konnte jemand auf die irrsinnige Idee kommen, eine Weihnachtsmann-Figur mitten im Sommer auf die Terrasse zu stellen? Es gehörte sich nicht und die Figur passte hier auch nicht her. Ich assoziierte den Weihnachtsmann automatisch mit Schnee, Kälte und leuchtenden Kinderaugen am Weihnachtstag. Nicht mit Sonne, Hitze und Jasminbüschen im Hintergrund. Also wirklich. Doch je länger ich darüber nachdachte, desto mehr leuchtete mir ein, warum sich niemand an der Figur auf der Terrasse störte, sie nicht beachtet und wenn überhaupt, als lustige Dekoration empfunden wurde. Hier, an diesem Ort und in diesem Haus, hatte der Weihnachtsmann einfach gar keine Bedeutung. Hier wurde kein Weihnachten gefeiert und nichts mit ihm assoziiert. Hier war er einfach nur ein Mann mit weißem Rauschbart der nett und gemütlich aussah und ein wenig Farbe in die Dekoration brachte. Die Figur des Weihnachtsmannes hatte hier keine Rolle zu spielen, war keine Symbolfigur für das weihnachtliche Schenken und somit funktions-, ergo arbeitslos. Sie konnte einfach da stehen, Winter wie Sommer und war unbelastet von Ansprüchen, Wünschen und Taten. Der Weihnachtsmann war hier kein Kulturgut, das bestimmte Assoziationen hervorruft und Aufgaben zu erfüllen hat wie in der westlichen Welt. Je mehr ich darüber nachdachte, desto logischer wurde alles. Und plötzlich kam mir dieser Gedanke: Was, wenn der Weihnachtsmann den Sommer gerne in wärmeren Gefilden verbringt, genau wie alle anderen Leute auch?! Einfach mal ab in die Sonne, dem kalten Norden entfliehen und die Seele baumeln lassen. Bevor es dann ab Oktober mit den Bestellungen losgeht und die Aufwärmphase für den Weihnachtsstress beginnt. Es soll ihm gegönnt sein und dieser Gedanken versöhnte mich schlagartig. Wenn ich jetzt an die Weihnachtsmann-Figur auf der Terrasse irgendwo in den Bergen im Süden des Libanon denke muss ich schmunzeln. Soll er doch seinen Spaß haben, der Weihnachtsmann, wie wir alle.

Der Weihnachtsmann schiebt eine ruhige Kugel im Libanon
Der Weihnachtsmann schiebt eine ruhige Kugel im Libanon

 

 

Sumaya und das Windsor Hotel

Was ich an Kairo besonders liebe ist, dass die Stadt mich auch nach so vielen Jahren noch überraschen kann. Immer gibt es etwas Neues zu entdecken. An Orten, die man vermeintlich kennt, verbergen sich wahre Kleinode, die es nur aufzuspüren gilt.

Gestern Abend bin ich mit Sherif Bakr, Besitzer des Al-Arabi Verlags, dem ägyptischen Journalisten und Autor Wagdy El Komy sowie dem deutschen Journalisten Ronald Düker, der gerade zu Besuch ist, durch Downtown Kairo gezogen. Unser erster Anlaufpunkt war Sumaya. Die Dame ist in bestimmten Kreisen bekannt wie ein bunter Hund und der Ruf ihrer ägyptischen Hausmannskost ist exzellent. Sumaya – mit strahlendem Lächeln und energischer Stimme – steht in ihrer klitzekleinen Küche ihres zwei Mal zwei Meter großen Bistros und serviert ab dem spätem Nachmittag solange der Vorrat reicht ihre köstlichen Speisen. Es gibt vier Tische und Platz für maximal 15 Leute, wenn sie dünn sind. Wir hatten Glück und bekamen einen Tisch. Zwei Minuten später und wir hätten in der kleinen Gasse vor der Tür warten müssen. Auch nicht schlimm. Ahmed gegenüber serviert Tee derweil. Auf dem Menü standen gestern ‚Kebab Hala’, Fleisch aus dem Topf mit Soße, überbackene Auberginen gefüllt mit Gehacktem und Nüssen, überbackene Zucchini sowie weißer Reis mit Erbsen und Ingwer. Was für eine großartige Idee, Ingwer an den Reis zu tun! Es gibt dem Ganzen die gewisse Leichtigkeit und Frische, die in allen anderen Gerichten natürlich fehlt. Béchamelsauce, mit der in Ägypten sehr gerne Gemüse überbacken wird, stand noch nie für leichte Küche. Muss sie auch nicht. Es war alles wunderbar so, wie es war. Wir haben uns auf das Essen gestürzt und hatten in Null-Komma-Nichts unsere Teller leer geputzt. Ist auch wichtig, sonst droht Sumaya mit schlimmen Strafen. Wahrscheinlich darf man dann nie wieder zu ihr kommen. Also, schon beim Bestellen sollte man sich gut überlegen, wie viel der Magen verträgt. Wir wurden gelobt und mit Sumayas strahlendem Lächeln belohnt. Dann mussten wir aber auch schnell gehen, weil draußen schon andere Gäste Schlange standen. Sumaya ist schließlich beliebt.

Zu Gast bei Sumaya in Downtown Kairo
Zu Gast bei Sumaya in Downtown Kairo

Nach dem guten aber reichhaltigem Essen stand uns der Sinn nach einem kühlem Bier, vor allem wo die Temperaturen derzeit die 35 Grad locker überschreiten und es dazu noch sehr, sehr schwül ist. Wir fuhren zum Windsor Hotel, das seit 1936 in der Nummer 19, Alfi Bey Straße in Downtown steht. In dem wunderbaren Buch von Andrew Humphreys „Grand Hotels of Egypt“ steht auf Seite 159 geschrieben, dass der älteste Aufzug der Stadt in diesem Hotel zu finden sei. Es ist ein antikes Stück von Schindler. Sobald man die Lobby des Hotels betritt sieht man ihn, so klein ist es hier. Hinter der Rezeption befinden sich bis heute eine alte Telefonzentrale, mit der alle ein- und ausgehenden Anrufe per Hand verbunden werden. Man fühlt sich sofort in eine andere Zeit versetzt. In ein Kairo, dass es so schon lange nicht mehr gibt. Als draußen vor dem Hotel die Stühle des Café La Parisiana standen und die bessere Gesellschaft hierher kam, um abends ein kühles Bier zu trinken. Im ersten Stock des Windsor befindet sich auch heute noch die Lounge. Im Treppenhaus hängen alte Reise-Poster, manche schon so vergilbt, dass man sie kaum noch entziffern kann. Andere wundervoll gerahmt, Art-Deco-Poster die das Hotel oder die Pyramiden anpreisen. Hier ist die Zeit stehengeblieben. Die Besitzer, die das Hotel 1962 von einem Schweizer kauften, haben versucht so wenig wie möglich zu verändern. Bis heute werden kaputte Dinge wenn möglich repariert, nicht ersetzt. So ist der Charme dieses Ortes erhalten geblieben. Das Bier ist kalt, die Zimmer sauber und klassisch eingerichtet. Vor der Tür tobt das Kairoer Leben, es rauscht vorbei, verändert die Stadt unentwegt, doch in diesem Hotel ist die Zeit stehen geblieben. Es beruhigt mich zu wissen, dass es diese Orte noch gibt, dass ich das alte Kairo, dass ich nur aus Büchern und alten Filmen kenne, hier für einen kurzen Moment zurückholen kann.

Im Windsor hängen überall alte Zeitungsartikel über das Hotel
Im Windsor hängen überall alte Zeitungsartikel über das Hotel
In der Lounge des Windsor Hotels gibt es Wireless Internet - ein Zugeständnis an die Moderne
In der Lounge des Windsor Hotels gibt es Wireless Internet – ein Zugeständnis an die Moderne
Kaltes Bier und Zigaretten in der Lounge des Windsor Hotels - so lässt es sich aushalten
Kaltes Bier und Zigaretten in der Lounge des Windsor Hotels – so lässt es sich aushalten

Für weitere Lektüre empfehle ich: Andrew Humphreys „Grand Hotels of Egypt – In The Golden Age Of Travel“; The American University in Cairo Press; www.aucpress.com

Es bietet wunderbare Illustrationen und Informationen zur Geschichte und Architektur der Hotels in Ägypten.

Tod auf dem Nil

Eine meiner absoluten Lieblingsautorinnen ist Agatha Christie. Besonders liebe ich ihre wunderbare ‚Miss Marple‘, diese kauzige, alte Frau, die immer nachts alleine in irgendwelchen Ohrensesseln auf den Mörder wartet. Gruselig, aber schön! Trotzdem ist der Held meines Lieblingskrimis von Agatha Christie ein anderer – Hercule Poirot. Ich habe „Tod auf dem Nil“ verschlungen und war besonders fasziniert von Christies genauer Beschreibung Ägyptens und seiner Menschen. Viel hat sich tatsächlich seit dem frühen 20. Jahrhundert hier nicht verändert. Auch nicht die Schönheit Assuans und des Old Cataract Hotels. Agatha Christie verbrachte mehrere Monate im Old Cataract, dass 1899 von Thomas Cook am Ostufer des Nils erbaut wurde. Hier schrieb sie ihren Klassiker Tod auf dem Nil, in dem auch das Hotel verewigt wurde. Von ihrer Suite in dem alten viktorianischen Palast hatte Agatha Christie einen atemberaubenden Blick über die Promenade aus Rosengranit, die legendäre Terrasse des Hotels – wo sie unter anderem mit Winston Churchill Tee (oder vielleicht doch einen Gin) trank – und das Panorama über den Nil. Nirgendwo sonst ist es schöner. Bis heute ist das Old Cataract eines der schönsten Hotels Ägyptens, wahrscheinlich weltweit. Und in der Agatha Christie Suite hängt bis heute eine scharz-weiß Fotografie, die den ehemaligen Premierminister Winston Churchill mit der Meisterin des Kriminalromans zeigt – natürlich im Garten des Old Catarct.

Das Paradies liegt im Süden

Die Reise tiefer in den Süden Ägyptens ist bezaubernd. Mit dem Auto geht es für uns von Luxor nach Assuan, damit wir an den Tempeln, die auf der Strecke liegen, anhalten können. In Edfu machen wir die erste Station. Der Tempel liegt mitten in der Stadt, aber ist man erst einmal durch die beeindruckende Pylonfront in den Tempelhof eingetreten, hat man die Stadt um einen herum sofort vergessen. Wir sind fast ganz alleine in der Tempelanlage. Noch nie bin ich so entspannt durch einen pharaonischen Tempel gelaufen, konnte mir für jeden Raum meine Zeit nehmen und die Inschriften bewundern, die hier besonders gut erhalten sind. Zurzeit sind so wenige Touristen in Ägypten unterwegs, dass es für diejenigen, die durch das Land reisen, besonders intensive Momente zu erleben gibt, einfach, weil man Tempel, Grabstätten und andere Touristenattraktionen ganz für sich alleine hat. Es hat etwas magisches, alleine in einem pharaonischen Tempel zu stehen. Natürlich fehlt dem Land der Tourismus. Für die vielen Menschen, die in Ägypten vom Tourismus abhängig sind, ist es besonders bitter. Überall sieht man verlassene und geschlossene Souvenir-Läden. In Kom Ombo das gleiche Bild. Eine wunderschöne Tempelanlage direkt am östlichen Nilufer – und wir die einzigen Touristen!

Der Nil ist im Süden besonders schön, je weiter man fährt, desto breiter und klarer wird er. Hier im Süden ist der Fluss noch nicht verdreckt sondern so klar, dass man aus ihm trinken könnte.

In Assuan nehmen wir uns eine Felluka und treiben einen Tag lang auf dem Nil entlang. Obwohl es zu dieser Jahreszeit schon sehr heiß wird in Assuan, lässt es sich hier auf dem Nil auch tagsüber gut aushalten. Wir sind mit Ahmed Siam unterwegs, einem Nubier. Er wuchs in Assuan in einem kleinen nubischen Dorf auf, das auf der West- und der Ostseite vom Nil flankiert wird. Schon mit 13 Jahren fuhr er Felluken, die traditionellen ägyptischen Segelschiffe. Bis Sonnenuntergang treiben wir auf der „Magic“, wie Ahmeds Segelschiff heißt, auf dem Nil entlang. Wir breiten uns auf den von Ahmed bereitgelegten Matratzen aus und genießen den Ausblick auf die Nilinseln, das viele Grün, die Sanddünen am Horizont und auf die nubischen Dörfer am Ufer. Es sieht aus und fühlt sich an wie das Paradies. Vor allem als Ahmed uns eine kleine Mahlzeit aus Salaten und frischem Brot präsentiert, nachdem wir etwas ermattet von einer kurzen Gräberexpedition zurückkommen. Ahmed lässt sich immer etwas einfallen, um seine Gäste glücklich zu machen. Wer nicht stundenlang nur faulenzen will, kann auch gerne auf dem Boot mithelfen – steuern, Segel einholen, Taue aufknoten, es gibt immer etwas zu tun. Wir haben einen windstillen Tag erwischt, deshalb darf ich das Segelschiff steuern während Ahmed die Ruder ins Nilwasser taucht. Wir rudern auf eine kleine Insel kurz über dem ersten Cataract zu. Hier ankern wir und springen ins glasklare Wasser. Der Nil ist hier noch so rein, dass man fast bis auf den Grund schauen kann. Ich sitze auf den großen Granitblöcken am Ufer der kleinen Insel, schaue dem Wasser zu, dass in sekundenschnelle hunderte kleiner Wirbel kreiert und möchte nie wieder hier weg. Die Ruhe, die Luft und die Schönheit der Landschaft haben mich in ihren Bann gezogen. Ich bin verliebt in Assuan.

Die Reise geht weiter

Nachdem ich mich beim Kitesurfen – oder besser gesagt beim üben auf dem Wasser total verausgabt hatte, musste ich mich in Windeseile duschen, umziehen und packen. Mein Fahrer wartete schon ungeduldig, der mich von El Gouna 350 Kilometer weiter südlich ins Landesinnere nach Luxor bringen sollte. Da Egypt Air keine Direktflüge mehr von Hurghada nach Luxor anbietet, war ein Auto die beste Lösung, auch wenn die Fahrt gute fünf Stunden dauert. Die erste Strecke ist recht öde, aber sobald wir den Nil in Qena erreichten, war ich verzaubert. Selten habe ich eine so saubere, grüne Stadt in Ägypten gesehen. So viele Bäume!

Kurz vor Sonnenuntergang waren wir in Luxor. Unser Hotel, das Marsam Shiek Ali, ist das älteste Hotel auf der Westbank, der Vater von Shiek Ali baute es Anfang des 20. Jahrhundert. Seit Jahrzehnten ist es ein Treffpunkt für Archäologen, Künstler und Ägyptenliebhaber. Es hat einen ganz eigenen Charme, ohne den üblichen 5-Sterne-Luxus, ausgestattet dafür aber mit umso mehr Atmosphäre und Gastfreundschaft.

Das Marsam steht eingebettet zwischen Ramesseum, dem Tempel von Medinat Habu und Merenptah, und von hier aus sind alle wichtigen Sehenswürdigkeiten der Westseite Luxors zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erreichen, die man für 10 LE (umgerechnet 1 Euro) am Tag im Hotel leihen kann. Am Nachmittag kurz vor Sonnenuntergang vom Hotel zum Ramesseum durch die Felder zu spazieren ist magisch. Aber eigentlich will man nirgendwo hin, sobald man im Marsam angekommen ist. Vom Garten des Hotels aus schaut man über die angrenzenden Felder und genießt den ganzen Tag lang die unfassbare Ruhe – und am frühen Morgen hat man von hier aus einen traumhaften Ausblick auf den Sonnenaufgang hinter den Palmenhainen, die sich über die Felder erstrecken. Ich gebe zu, ich habe ihn nicht erlebt, so früh war ich nie wach. Ich habe viel geschlafen – die Betten ähneln Futons, mit Gestellen aus Palmwedel und Matratzen aus Baumwolle – und hauptsächlich im Garten gesessen, genossen und sehr viel gegessen. Ich habe mich morgens, mittags und abends durch die ganze Vielfalt der ägyptischen Küche gegessen und war völlig begeistert vom Koch des Marsam. Besseres Okraschoten-Tagin (Bamja auf ägyptisch) habe ich noch nie gegessen! Alles ist frisch im Marsam, das Gemüse kommt aus dem hauseigenen Garten, dort wachsen Tomaten, Auberginen, Zucchini, Zwiebeln, Knoblauch und scharfe Paprika. Auch die Hühner werden selbst geschlachtet und kommen immer frisch auf den Tisch, darauf besteht Klaus Rao, seit zwei Jahren Manager des Marsam ist. „Ich will, dass es allen schmeckt und mit gutem Gewissen sagen können, dass alles frisch ist“, sagt er. Und es schmeckt. Köstlich. Ich esse und esse und will hier gar nicht mehr weg. Jetzt verstehe ich endlich all die Freunde, die schon seit Jahren ins Marsam kommen und aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus kommen. Der Abschied fällt mir schwer, ich habe hier so wunderbar abschalten können, aber der nächste Ort steht auf dem Programm und ich ziehe weiter, tiefer in den Süden, wo der Nil schöner ist als nirgendwo sonst in Ägypten.

http://www.marsamluxor.com/