Aus Alt mach Neu

Wenn es darum geht Ausreden zu finden, sind die Ägypter die Größten. Ich könnte tausend Beispiele nennen, aber auf meiner Beliebtheitsskala stehen die ägyptischen Kellner ganz an erster Stelle. Hier wird der Spruch: „Der Gast ist König“ gerne in „Der Gast hat immer Unrecht“ umgemünzt. Ein Beispiel: Ich sitze in einem meiner Lieblings-Restaurants. Ein alter Pub mit großem Garten, eine Seltenheit in Kairo. Man kann hier wunderbar draußen sitzen, ein Springbrunnen plätschert, im Hintergrund wird Klavier gespielt oder alte Bee Gees Songs kommen von der immer gleichen CD. Es gibt gutes Essen und eigentlich könnte es ein kleines Paradies mitten in der Stadt sein. Wären nicht immer die Gläser schmierig und die Servietten verschmutzt. Vor ein paar Tagen aber übertraf sich unser Kellner selber. Wir brauchten Salz, aber aus Salz- und Pfefferstreuer kam Pfeffer. Meine Begleitung öffnete den Salzstreuer und fand eine feste, dunkle Masse darin, die nicht mehr ganz frisch aussah plus ein paar Reiskörnern. Er rief den Kellner, der nur lapidar sagte: „Sie verstehen das nicht, die Reiskörner müssen da drin sein wegen der Luftfeuchtigkeit.“ Jaja, aber ist Salz nicht normalerweise weiß? Nein, kam die prompte Antwort, das müsse so aussehen. Da hilft auch keine Diskussion mehr. Aber um mal die positiven Dinge herauszustreichen: Die Ägypter sind nicht nur gut im Ausreden erfinden, sie sind auch wahnsinnig kreativ wenn es darum geht, Lösungen zu finden. Sie wollen Staub aus ihren Teppichen oder Fußmatten bekommen? Machen sie es doch wie die Ägypter und legen sie ihre Persianer für einen Tag auf die Hauptstraße. Die darüber rollenden Autos klopfen den Staub von ganz alleine aus. Sie müssen Reifen transportieren, haben aber kein Auto? Bauen sie einfach einen Metallaufsatz auf den Gepäckträger ihres Klapperrads, der tut es auch. Die Ägypter sind die Könige des „Aus Alt mach Neu“. Ein paar schrottreife Wagenteile werden so zu einer Art Lastwagen zusammengeschraubt, ohne Türen zwar aber mit Ablagefläche und irgendwie rollt das Teil – auch wenn es nicht danach aussieht. Mein Favorit ist und bleibt allerdings ein Hausmeister in meiner Straße, der sich im Frühjahr an einem Regentag offenbar nicht die Frisur zerstören wollte. Irgendwo hatte er eine dieser durchsichtigen Duschhauben gefunden, mit der er ungerührt des seltsamen Anblicks den ganzen Tag durch die Gegend lief. Ein Mann mit Duschhaube sieht immer merkwürdig aus, außerhalb des Bads und auf der Straße jedoch – in Ägypten – bekommt die Szene skurrile Züge. Für solche Momente liebe ich die Ägypter.

 

 

Einkaufen hilft immer

Es gibt so Tage, da möchte man in Kairo einfach den Kopf unter die Decke stecken und nicht mehr raus kommen. Natürlich gibt es diese Momente immer und überall auf der Welt, Weltschmerz kennt keine Grenzen. Es gibt halt so Tage, da scheint nichts so zu laufen, wie man es sich erhofft hat. Dann steckt der Wurm drin und man muss es irgendwie akzeptieren und hoffen, dass es schnell vorbei geht.

Bei mir häufen sich diese Tage in Kairo sobald es Sommer wird und die Temperaturen in für mich unerträgliche Höhen schießen. Dann überkommt mich das Heimweh öfter als sonst, die Sehnsucht nach Grün, kälteren Tagen und Regen. Ja, ich vermisse Regen. Das versteht natürlich in Deutschland immer keiner, aber wer mal einen trockenen Sommer in Kairo erlebt hat weiß, wovon ich spreche. Ich liebe meine Gummistiefel, und ich will sie nicht nur anschauen, sondern auch tragen. Ich freue mich wie ein Kleinkind wenn es nass genug ist, um sie anzuziehen und durch Pfützen zu marschieren. Passiert in Kairo eher selten, gebe ich zu. Aber diesen Winter hatte ich Glück. Es hat ein paar Mal richtig heftig geregnet und ich war eine von den ganz wenigen in diesem Land, die mit trockenen Füßen durch die riesen Pfützen der Stadt lief.

Aber zurück zum Heimweh. Wenn das Thema auf Gummistiefel kommt tendiere ich dazu abzuschweifen.

Es ist jetzt also Juni und es ist heiß in Kairo. Zu heiß. Da schlägt das Heimweh mit voller Kraft zu. Man muss sich also Strategien ausdenken, um das Heimweh auszutricksen. Eine gute Möglichkeit ist, sich bei über 40 Grad im Schatten in einen vollklimatisierten Supermarkt zu begeben. Gourmet in Zamalek eignet sich dazu zum Beispiel hervorragend. Der Laden ist zwar sehr klein, dafür bietet er aber alles, was das Ausländer-Herz begehrt. Gourmet gibt es seit einigen Jahren in Ägypten und seither ist der Laden für viele von uns unersetzlich geworden. Die Steaks kommen aus Australien, der Käse aus der Schweiz, der Lachs aus Norwegen und die sauren Gurken aus Deutschland. Hierher gehe ich, wenn ich das Gefühl haben möchte, nicht in Ägypten zu sein, weil ich hier fast alles finden kann, was es auch in Deutschland zu kaufen gäbe. Fast, aber immerhin. Neulich konnte ich mein Glück kaum fassen. Da lag in der Gemüsetheke tatsächlich frischer Grünkohl. Damit hatte ich nicht gerechnet. Grünkohl in Ägypten, das hatte ich noch nie gesehen. Ich glaube, es gibt für Grünkohl noch nicht mal einen Namen auf Arabisch. Manchmal haben sie auch weißen Spargel, auch so eine Seltenheit hier. Der Spargel war eigentlich für den Export nach Deutschland bestimmt und schon mit deutschem Warenhinweis bestückt, landete dann aber irgendwie bei Gourmet und nicht in einem deutschen Supermarkt. Glück für mich! Es gibt keine Ankündigung, man muss einfach am richtigen Tag seine Nase durch die Tür stecken. Es gibt auch so exotische Dinge wie Quinoa bei Gourmet zu kaufen und seit Neuestem haben sie auch Angebote für Veganer oder Menschen, die eine Laktose-Intoleranz haben. Beides Phänomene im Übrigen, denen man in Ägypten kaum begegnet. Menschen die kein Fleisch essen sind den Ägyptern schon mal per se suspekt, aber obendrein auch keinen Käse, keine Eier oder Milch!? Undenkbar. Dabei soll es mittlerweile ein veganes Restaurant in Kairo geben. Muss ich ausprobieren. Es gibt also bei Gourmet jetzt auch Mandel- und Sojamilch. Ich war so begeistert, ich habe gleich eine Packung Mandelmilch mit nach Hause genommen. Um die Wahrheit zu sagen, ich hatte zuvor noch nie Mandelmilch getrunken. Schmeckt gut, und ich vertrage sie tatsächlich besser als normale Milch. Ich hoffe also, dass Gourmet sie im Angebot behält. Denn: So schnell etwas kommt, so schnell kann es hier auch wieder gehen.

http://www.gourmetegypt.com/store/

Die Reise geht weiter

Nachdem ich mich beim Kitesurfen – oder besser gesagt beim üben auf dem Wasser total verausgabt hatte, musste ich mich in Windeseile duschen, umziehen und packen. Mein Fahrer wartete schon ungeduldig, der mich von El Gouna 350 Kilometer weiter südlich ins Landesinnere nach Luxor bringen sollte. Da Egypt Air keine Direktflüge mehr von Hurghada nach Luxor anbietet, war ein Auto die beste Lösung, auch wenn die Fahrt gute fünf Stunden dauert. Die erste Strecke ist recht öde, aber sobald wir den Nil in Qena erreichten, war ich verzaubert. Selten habe ich eine so saubere, grüne Stadt in Ägypten gesehen. So viele Bäume!

Kurz vor Sonnenuntergang waren wir in Luxor. Unser Hotel, das Marsam Shiek Ali, ist das älteste Hotel auf der Westbank, der Vater von Shiek Ali baute es Anfang des 20. Jahrhundert. Seit Jahrzehnten ist es ein Treffpunkt für Archäologen, Künstler und Ägyptenliebhaber. Es hat einen ganz eigenen Charme, ohne den üblichen 5-Sterne-Luxus, ausgestattet dafür aber mit umso mehr Atmosphäre und Gastfreundschaft.

Das Marsam steht eingebettet zwischen Ramesseum, dem Tempel von Medinat Habu und Merenptah, und von hier aus sind alle wichtigen Sehenswürdigkeiten der Westseite Luxors zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erreichen, die man für 10 LE (umgerechnet 1 Euro) am Tag im Hotel leihen kann. Am Nachmittag kurz vor Sonnenuntergang vom Hotel zum Ramesseum durch die Felder zu spazieren ist magisch. Aber eigentlich will man nirgendwo hin, sobald man im Marsam angekommen ist. Vom Garten des Hotels aus schaut man über die angrenzenden Felder und genießt den ganzen Tag lang die unfassbare Ruhe – und am frühen Morgen hat man von hier aus einen traumhaften Ausblick auf den Sonnenaufgang hinter den Palmenhainen, die sich über die Felder erstrecken. Ich gebe zu, ich habe ihn nicht erlebt, so früh war ich nie wach. Ich habe viel geschlafen – die Betten ähneln Futons, mit Gestellen aus Palmwedel und Matratzen aus Baumwolle – und hauptsächlich im Garten gesessen, genossen und sehr viel gegessen. Ich habe mich morgens, mittags und abends durch die ganze Vielfalt der ägyptischen Küche gegessen und war völlig begeistert vom Koch des Marsam. Besseres Okraschoten-Tagin (Bamja auf ägyptisch) habe ich noch nie gegessen! Alles ist frisch im Marsam, das Gemüse kommt aus dem hauseigenen Garten, dort wachsen Tomaten, Auberginen, Zucchini, Zwiebeln, Knoblauch und scharfe Paprika. Auch die Hühner werden selbst geschlachtet und kommen immer frisch auf den Tisch, darauf besteht Klaus Rao, seit zwei Jahren Manager des Marsam ist. „Ich will, dass es allen schmeckt und mit gutem Gewissen sagen können, dass alles frisch ist“, sagt er. Und es schmeckt. Köstlich. Ich esse und esse und will hier gar nicht mehr weg. Jetzt verstehe ich endlich all die Freunde, die schon seit Jahren ins Marsam kommen und aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus kommen. Der Abschied fällt mir schwer, ich habe hier so wunderbar abschalten können, aber der nächste Ort steht auf dem Programm und ich ziehe weiter, tiefer in den Süden, wo der Nil schöner ist als nirgendwo sonst in Ägypten.

http://www.marsamluxor.com/