Zeitenwende in Ägypten

Nie hätte ich gedacht, dass ich diesen Satz einmal schreiben würde, aber jetzt ist es soweit: Eine App hat mein Leben verändert. Unglaublich, aber wahr. Uber ist eine App, die wie ein privater Fahrservice funktioniert. Ich lade die App auf mein Handy, gebe einmal meine Kreditkartennummer ein und kann fortan von überall her per GPS einen Wagen bestellen. Im Normalfall ist jemand in etwa fünf Minuten bei mir. Dass so etwas in Kairo funktionieren könnte, hielt ich für utopisch. Dann benutzte ich das erste Mal mit einer Freundin den Dienst und war begeistert. Wir kamen gerade aus dem Kino in der Innenstadt, standen auf der Straße und keine fünf Minuten, nachdem sie die Anfrage über ihr Telefon gestellt hatte, stand der Wagen vor uns. Wir stiegen in ein blitzsauberes Auto und der Fahrer fuhr uns, vom Navigationssystem geleitet, zur von uns angegebenen Andresse. Keine Diskussionen, kein Streit über den Fahrpreis, denn der wird direkt von der Kreditkarte abgezogen. Wir stiegen einfach aus. Am Ende bewertet man seinen Fahrer. Wenn also doch mal etwas schief läuft, weiß Uber das und reagiert. Seither bin ich zu einem Uber-Fan mutiert, benutze in Kairo nur noch diesen privaten Fahrdienst statt mich mit den normalen Taxifahrern rumzustreiten. Mit denen gibt es fast immer Stress, entweder wegen des Fahrpreises, oder weil der Fahrer raucht, oder ich stehe eine halbe Stunde auf der Straße, bis ich überhaupt ein Taxi finde das frei ist und mich dahin bringt, wo ich hin will. Ägyptische Taxifahrer können sehr wählerisch sein. Keines dieser Probleme verdirbt mir nun mehr den Tag, und ich liebe es. Aber Uber ist nicht die einzige Veränderung, die ich mit großer Freude und Erstaunen in Kairo miterlebe. In meinem Lieblings-Supermarkt an der Ecke, in dem ich gute, importierte Ware finde, habe ich mich bisher immer darüber geärgert, dass es nur Plastiktüten gab und habe immer meine eigene Jute-Tüte dabei gehabt. Offenbar war ich nicht die einzige Kundin, die sich darüber geärgert und beschwert hat, denn seit ein paar Monaten sind die Plastiktüten verschwunden und stattdessen wird der Einkauf in robuste Papiertüten gepackt. In einem Land, das im Plastikmüll versinkt, weil jeder Apfel in eine Plastiktüte gesteckt wird, kommt diese Neuerung einem Wunder gleich. Auch die leidlichen Plastikflaschen, die ich bisher Kartonweise bestellt habe, werde ich bald abschaffen können. Ich habe einen ägyptischen Kohlefilter gefunden, der das Wasser aus dem Hahn sauber und genießbar macht. Insgesamt fühlt sich das alles wie eine Zeitenwende an. Ägypten scheint langsam in der Moderne anzukommen.

„Conceptions of Space: Curating Art, Architecture and City“

Balassi Institut, 13 Gawad Hosni Straße, Downtown Kairo an einem warmen Sonntagabend Anfang April. D-CAF Festival. Beginn der Veranstaltung ist 19 Uhr. In Kairo ist nie jemand pünktlich, aber schon jetzt ist der Saal zur Hälfte gefüllt, eine halbe Stunde später müssen extra Stühle in den Raum gebracht werden, der auch gut als Tanzstudio dienen können, mit seiner Fläche, den Holzdielen und großen, weißen Wänden.

Pedro Gadanho sieht sympathisch aus. Er trägt eine dunkel umrandete Brille, ein braunes Poloshirt und hat sanfte, zugängliche Gesichtszüge. Nichts an ihm wirkt abgehoben oder überheblich. Er spricht klar und leidenschaftlich über sein Thema: „Conceptions of Space: Curating Art, Architecture and City.“ Drei Jahre lang war der portugiesische Architekt Kurator am Museum of Modern Art (MOMA) in New York. Nun wird er das Museum of Art, Architecture and Technology (MAAT) in Lissabon leiten, das im Oktober offiziell seine Türen öffnet. Die erste Ausstellung widmet sich dem Thema „Utopia and Dystopia“. Die Ausstellung will die Idee der Utopie und der Dystopie durch die Augen von Künstlern und Architekten diskutieren, wie Gadanho erklärt.

Kurator Pedro Gadanho (links) und Omar Nagati (CLUSTER) im Gespräch
Kurator Pedro Gadanho (links) und Omar Nagati (CLUSTER) im Gespräch

Man nimmt ihm sofort ab, dass er davon überzeugt ist, dass Künstler und Architekten mit ihren Ideen und Projekten die Welt verändern können. Zumindest Impulse setzen können, die zu Veränderung führen. „Als ein Architekt verändert man immer urbane Orte mit seiner Arbeit“, sagt Gadanho. Deshalb könnten Architekten auch eine politische Rolle spielen. „Architekten können eine Gemeinschaft mit ihrer Arbeit ermächtigen.“ Er spricht an diesem Abend in Kairo zum Beispiel über die Verwendung und Inszenierung von Raum. Er zeigt das Bild eines Baus in einem Armenviertel in Bogota. Dort hat ein Architekt ein futuristisch anmutendes Riesen-Zeltdach mit langen Säulen auf einen Platz gebaut. Wo vorher die Sonne auf einen Grünstreifen knallte, können sich die Bewohner nun im Schatten ausruhen, sitzen, sprechen, miteinander in Kontakt treten. „Es ist ein künstlichere Tätigkeit aber Du reagierst auch auf Probleme, die Du nicht an der Seite liegen lassen kannst.“ Architektur kann Veränderung hervorrufen. Auf einem anderen Foto zeigt Pedro Gadanho einen großen Platz in Brasilien. Jahrelang sei er geplant und umgebaut worden und am Ende, als der Platz endlich fertiggestellt war, habe jegliche Beziehung zu den Menschen, die diesen Platz bevölkern, die um ihn herum wohnen, gefehlt. Es war einfach eine leere, weite Fläche entstanden. Doch die Menschen wollten sich ihren Platz nicht nehmen lassen und eroberten ihn sich wieder, durch Aktionen und eigene Initiativen. Architektur und Kunst greifen aber auch oft da, wo die Politik versagt. Da war zum Beispiel die Künstlerin, die mit Kreide einen Zebrastreifen an die Stelle einer Straße malte, an der kurz zuvor ein Kind überfahren wurde. Mit einem Zebrastreifen wäre dieses Unglück möglicherweise nicht geschehen. „Natürlich ist die Kreide nach kurzer Zeit wieder verschwunden, aber es ist ein Zeichen, das gesetzt wird“, sagt Gadanho. Ein anderer Künstler malte Zebrastreifen mit Farbe aus, die kaum noch zu erkennen waren aber von den zuständigen Behörden nicht repariert wurden. Er nahm das also einfach in die eigenen Hand und leistete somit nicht nur einen Beitrag für die Sicherheit der Gesellschaft sondern lieferte auch gleich eine Gesellschaftskritik ab. So sinnvoll und treffend kann Kunst sein.

MAAT Lissabon
MAAT Lissabon

Auch die Arbeit des Kurators habe sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr verändert, sagt Pedro Gadanho. „Kuratieren ist eine neue Art der Kritik.“ Museen würden sich verändern und heute eben auch soziale Verhältnisse debattieren. Eine Ausstellung könne ein größeres Publikum in eine Diskussion einführen und Informationen weitergegeben, anstatt nur schön zu sein. „Ich wollte immer Menschen erreichen und kritisches Denken anstoßen“, sagt Gadanho. Als Direktor des MAAT wird er dazu sicherlich reichlich Gelegenheit haben.

In Kairo zieht System ein

Wenn ganz Kairo im Sommer mit Sack und Pack an die Nordküste emigriert – inklusive der angesagtesten Kunstgalerien, Bars und Restaurants – weil die Stadt am Nil einfach zu heiß wird für ein angenehmes Leben, dann emigriere ich zurück nach Europa. Wenn man dann nach dem, zugegeben dieses Jahr sehr langen Sommer, zurück nach Kairo kommt kann es vorkommen, dass sich so einiges geändert hat womit man nie im Leben gerechnet hätte. So fuhr ich vergangene Woche an einem Samstagnachmittag durch das Stadtzentrum hinter dem Tahrir-Platz Richtung Alt-Kairo und traute meinen Augen kaum. Ich war so schnell am Bazar wie sonst nur an einem Freitagmorgen vor dem großen Gebet, wenn die Welt in Kairo noch am Schlafen ist. Weit und breit waren keine fliegenden Händler mehr zu sehen, die in den vergangenen Jahren die Straßen zunehmend bevölkert und für Autos fast unpassierbar gemacht hatten. Auch am Straßenrand parkende Autos waren nirgends zu sehen. Dafür waren die großen Ampeln wieder alle im Betrieb und wurden sogar beachtet. Nur von meinem deutschen Bekannten nicht, der als Einziger über Rot fuhr, weil das sonst ja auch immer alle gemacht hatten. Er hatte die neue Entwicklung, die von der Regierung durchgesetzt worden war, während der Sommermonate in Deutschland wohl auch nicht mitbekommen. Ich rieb mir erstaunt die Augen und suchte nach der versteckten Kamera. Stattdessen fand ich am Tahrir-Platz eine neue Busstation mit neuen, sauberen Bussen über der neuen Tiefgarage, an der jahrelang gearbeitet worden war. Ab jetzt müssen alle, die ins Zentrum wollen ihr Auto dort parken und können dann mit einem der Busse in die Innenstadt fahren. Natürlich kommt man mit dem Auto noch durch die Stadt, nur wildes Parken ist nicht mehr erlaubt. Es kommt einem Wunder gleich, denn plötzlich sind die großen Boulevards, die ebenso wie die Häuser der Innenstadt von französischen Architekten entworfen wurden, auch wieder als solche erkennbar. Aber nicht nur das Stadtzentrum ist sauberer, auch in meinem Viertel gibt es eine interessante Neuerung. So gibt es eine neue Order der Regierung die besagt, dass jedes Geschäft eine Mülltonne vor der Tür stehen haben muss, sonst gibt es eine saftige Strafe. Was dann später mit dem Müll in der Tonne geschieht steht zwar auf einem anderen Blatt, aber zumindest ist es ja schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Nur den großen, alten Baum vor meiner Terrasse werde ich schmerzlich vermissen. Der ist – warum auch immer – nämlich dem Aufräumwahn der Ägypter über die Sommermonate leider auch zum Opfer gefallen. Jetzt müssen sich die Papageien, die mir sonst immer beim Frühstück Gesellschaft geleistet haben, eine neue Heimat suchen.

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Es war einmal… Glückliche Papageien im Baum vor meinem Balkon

Ein Mädchen wehrt sich

Es ist ein sich jährlich wiederholendes Drama: Wenn die Zeit der Abiturprüfungen hereinbricht, steht Ägypten Kopf. Es gibt dann kaum ein anderes Thema mehr, sogar in Zeitungen und im Fernsehen wird darüber berichtet. Die Abiturienten stehen in ihrem letzten Jahr an der Schule unter immensem Zeit- und Prüfungsstress, der sich meist auf die ganze Familie niederschlägt. Alle sind angespannt, es wird bis nachts gelernt und meist müssen die Familien noch viel Geld für Nachhilfestunden ausgeben, weil sonst das Pensum nicht geschafft werden kann. Geschichten von verzweifelten Schülern, die sich das Leben nehmen wollen, gibt es jedes Jahr aufs Neue. Denn ohne ausreichend gute Noten gibt es kaum Hoffnung darauf, an einer Universität angenommen zu werden und einen Job zu finden. Doch in diesem Jahr ist es die Geschichte eines jungen Mädchens aus einem kleinen Dorf in Oberägypten, das ganz Ägypten in Atem hält. Mariam Malak war immer eine Einser-Schülerin, erreichte in allen Prüfungen in der Vergangenheit fast 100 Prozent der zu erreichenden Punkte. Sie war eine Musterschülerin. Doch dann kam die große Abschlussprüfung, und als Mariam die Resultate bekam, fiel sie vor Schreck in Ohnmacht. In allen sieben Prüfungsfächern erhielt sie null Punkte. Als sie die Prüfungsantworten einsah, weil sie nicht glauben konnte, was geschehen war, traute sie ihren Augen nicht. Statt der vollgeschriebenen Seiten, die sie abgegeben hatte, bekam sie fast leere Seiten gezeigt. Zudem geschrieben in einer ihr fremden Handschrift.

Die Familie vermutet, dass Mariams Prüfungen mit denen eines schlechteren Schülers vertauscht worden sind, der einflussreiche Eltern hat. Sie beschwerten sich bei der zuständigen Schulbehörde. Doch erfolglos: Die Beamten machten zwar einen ersten Handschriftenvergleich – stellten aber angeblich keine Auffälligkeiten fest.

Doch Mariam will kämpfen. Sie ist sich sicher, Opfer von Korruption geworden zu sein. Inzwischen glauben das auch die meisten Ägypter, denn Mariams Geschichte ist mittlerweile Thema in nationalen und internationalen Zeitungen. Sogar im ägyptischen Fernsehen war Mariam zu Gast. Die Schülerin hat nun auch Unterstützung aus der Politik bekommen. Der gerade zurückgetretene Premierminister will sich ihrer „wie einer eigenen Tochter“ annehmen und mehrere prominente Ägypter haben angeboten, Mariam ihre weitere Schulbildung zu finanzieren. Mariam will Ärztin werden. Doch jetzt hat sie es erst einmal mit dem korrupten, ägyptischen Bildungssystem aufgenommen und ganz Ägypten drückt ihr die Daumen, dass sie es in die Knie zwingt.

Die Sache mit der Hygiene

Im Juni besuchte der ägyptische Ministerpräsident zwei Krankenhäuser in Kairo, und er war schockiert von dem was er sah. Überraschend, denn kein Ägypter wäre an seiner Stelle schockiert gewesen. Alle wissen, wie schlecht es um den Zustand der öffentlichen Einrichtungen in Ägypten steht. Als Antwort auf die Unwissenheit des Ministerpräsidenten erstellten ägyptische Ärzte eine Facebook-Seite, auf der sie Fotos von den Verhältnissen in ägyptischen Krankenhäusern posteten. Die Bilder zeigen kranke Menschen, die auf den Fluren von Krankenhäusern liegen – auf dem Boden. Blut, das auf den Böden gerinnt. Müllberge. Tiere, die es sich auf den Stationen gemütlich machen. Viele Menschen taten es den Ärzten nach und erstellten ihre eigenen Facebook-Seiten, um dem Ministerpräsident zu zeigen, wie es so in den Amtsstuben, Universitäten und Gerichten aussieht. Sie alle haben den gleichen Namen: „Damit er nicht überrascht ist, wenn er zu Besuch kommt.“ Die Ägypter waren schon immer berüchtigt für ihren sarkastischen Witz. Zugleich ist es eine harsche Kritik an den Regierenden, die von jeher in Ägypten in einer anderen Welt leben als die große Masse der Menschen. Es ist die Anklage an der totalen Vernachlässigung und dem Versagen der öffentlichen Hand. Kanäle, um Missstände zu äußern, gab es früher nicht. Heute nutzen die Menschen soziale Medien. Auch ich habe Arztbesuche in Ägypten immer gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Nicht, dass es in Ägypten keine guten Ärzte gäbe, ganz im Gegenteil. Viele haben ihre Ausbildung im Ausland gemacht und arbeiten mit den neuesten Techniken. Aber meine deutsche Vorstellung von Hygiene steht mir da im Weg. Dabei bin ich natürlich schon in einer privilegierten Situation und kann mir die besten Ärzte leisten. Doch auch da läuft nicht immer alles so, wie man es sich wünschen würde. Vor ein paar Jahren musste ich zu einer Untersuchung, die keinen Aufschub duldete. Ich ging zu einem der besten Ärzte des Landes. Der Mann war nach der Revolution mal kurzzeitig Gesundheitsminister gewesen und saß jetzt wieder in seinem schweren Ledersessel hinter einem massiven Holztisch, auf dem Holzkisten mit Cohibas lagen. Ich musste lange warten und irgendwann meldete sich meine Blase. Ich vermeide es auch tunlichst, in Ägypten öffentliche Toiletten aufzusuchen. Manchmal lässt es sich aber nicht vermeiden. Die Toilette sah auch gar nicht so übel aus. Nur leider hatte jemand wohl nicht ganz verstanden, wozu das Klo da ist und sein großes Geschäft davor erledigt. Ich stolperte rücklings wieder hinaus und dann ging es auch wieder mit der Blase. Der Schock. Die Frage ist: auf welchem Parallelstern lebt um Gottes Willen der gute Ministerpräsident?!