Sand zwischen den Zähnen

Es sieht ein wenig so aus, als ob das Ende der Welt gekommen sei. Zumindest immer dann, wenn ich in den vergangenen zwei Tagen durch meine Gardinen gelugt oder mich doch auf die Straße getraut habe. Eine Kaltfront aus Europa fegt mit Stürmen über Kairo hinweg. Der Sand verdunkelt den Himmel und dringt durch jede noch so kleine Ritze. Alles knirscht und im Haus beginnen sich kleine Sandhäuflein vor den Fenstern und Türen zu bilden, die besonders in Altbauten nie ganz dicht sind. Die Gardinen helfen ein wenig den Wind abzuhalten, aber der Sand kommt trotzdem rein. Auf den Straßen liegen abgebrochene Äste und ganze Bäume sind entwurzelt worden durch den Sturm. Gestern Abend lief ich durch ein gespenstisch leeres Kairo. Niemand geht vor die Tür, wenn er nicht unbedingt muss. Viele Menschen die den ganzen Tag draußen sind haben sich in der Apotheke Mundschutz besorgt, um zumindest den schlimmsten Staub und Sand abzuhalten. Aber auch wenn man sich hauptsächlich drinnen aufhält merkt man den Effekt, den Sand auf die Lungen hat. Es kratzt und tut weh. Gestern Abend habe ich mit meinen Freunden im Chor gehustet.
Morgen soll es zum Glück langsam besser werden. Es bleibt zwar mit 6-14 Grad kühl, aber zumindest soll die Sonne wieder zum Vorschein kommen. Ich freue mich drauf.

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Superhelden gesucht

Kairo ist ein Moloch und das tägliche Leben für die meisten der 20 Millionen Einwohner ein Kampf. Ende vergangenen Jahres fragten sich zwei ägyptische Freunde, der eine Fotograf der andere Koch, wie es wohl einem Superhelden in Kairo ergehen würde. Eine Idee war geboren und von nun an lief der Koch als Spiderman verkleidet durch die Straßen Kairos. Er rannte hinter überfüllten Bussen her, drängte sich in die übervolle U-Bahn, lief durch Volksviertel, rauchte auf Häuserdächern Wasserpfeife und ließ sich bei all dem fotografieren. Am Ende musste sogar Spiderman zugeben, dass man ein Superheld sein muss, um in dieser Stadt zu überleben. Die Aktion wurde ein viraler Hit, die Fotos tausendfach auf sozialen Medien geteilt. Das Leben in Kairo auch Kampf bedeutet, zeigen auch mehrere Studien. Der so genannte „Where-to-be-born“-Index des Economist misst zum Beispiel, an welchem Ort der Welt man am besten geboren wird, um ein glückliches Leben zu führen. Ägypten ist es der Studie zufolge nicht. Das Land am Nil landet auf Platz 60 von 80. Neulich las ich dann in einem ägyptischen Online-Magazin, dass das Forschungsunternehmen Gallup untersucht hat, in welchem Land dieser Erde die Menschen am positivsten und in welchen am negativsten sind. Der Index habe untersucht, inwieweit die Menschen in den verschiedenen Ländern Stress, Wut, Trauer, körperlichen Schmerz und Sorge erfahren. Den höchsten negativen Erfahrungsindex hat der Studie zufolge der Irak, gefolgt von Iran. Platz drei teilen sich Griechenland und Ägypten. Damit wäre Ägypten das dritt-negativste Land der Welt. Das die Stimmung im Land schlecht ist, ist auch ein viel debattiertes Thema in meinem Freundeskreis. Es ist auch kein Wunder, die politische- und wirtschaftliche Misere des Landes macht den Menschen zu schaffen, Korruption, schlechte Bildung und keine wirkliche Perspektive, dass sich in der nächsten Zeit etwas an der Situation ändern wird, lassen die Menschen verzweifeln. Es herrscht kollektive Depression. Jedenfalls scheint es so. Dabei sind die Ägypter im Grunde ein so fröhliches Volk. Der Witz der Ägypter ist in der arabischen Welt berüchtigt. Doch in einem Land, in dem der beliebteste Satiriker der arabischen Welt nicht mehr auf Sendung geht, weil es einigen Menschen in diesem Land nicht passt, wenn über sie Witze gemacht werden, kann einem ja nur das Lachen vergehen. Ich warte täglich darauf, dass Bassem Youssef wieder auf Sendung geht. Dann wäre die Witzkultur des Landes gerettet und die nächste Studie kann kommen. Denn eines ist sicher, wenn Machthaber erlauben, dass über sie Witze gemacht werden, dann geht es mit einem Land auch sonst bergauf.

Cairo today

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So stelle ich mir das vor…. Viel Sonne, etwas Wind, einfach fantastisches Wetter heute. Es geht bergauf mit den Temperaturen. Ist auch gut so, einer meiner Heizstrahler hat sich nämlich gerade verabschiedet. Es roch verbrannt und plötzlich qualmte es. Huh. Ich hab da grad so eine Phase, wie es scheint. Gestern hab ich meine Linsensuppe – im Volksmund auch „ägyptische Heizung“ genannt, vollkommen verbrannt, weil ich zu lange am Telefon war. Das ganze Haus war eine einzige, schwarze Rauchwolke. Wunderbar. Ich will ja nicht abergläubisch sein, aber vielleicht sollte ich ein Blatt Papier über dem Waschbecken verbrennen, nur zur Sicherheit. Nach dem Motto: Drei Mal Feuer und dann ist der Fluch gebrochen, oder so ähnlich.

Reden wir über das Wetter

Kurz nach Neujahr kam ich aus dem kalten – und in manchen Teilen noch verschneiten – Deutschland zurück nach Kairo. Ich hatte noch vor der Abreise mit mir debattiert ob es sich überhaupt lohnen würde, meine dicken Winterstiefel mitzunehmen. Im vergangenen Winter gab es zwar ein paar kalte Tage, aber ich war auch gut ohne sie ausgekommen. Aus verschiedenen Gründen entschied ich mich dafür, sie einzupacken. Vor allem auch, weil noch Platz im Koffer war, und dass passiert nicht allzu oft bei mir. Schon in dem Moment, als ich das Flugzeug in Kairo verließ und mir oben auf der Rolltreppe ein scharfer, kalter Wind um die Ohren fegte, war ich dankbar für den Wintermantel, den ich anhatte und die dicken Stiefel, die im Koffer waren. Selten war mir so kalt in Ägypten wie in diesem Winter. Oder ich habe es verdrängt. Die Sommer sind so lang und heiß, dass man schnell vergisst wie es hier im Winter ist – ohne Heizung in schlecht isolierten Häusern. Ende 2013 fiel nach 112 Jahren in Kairo mal wieder Schnee. Ich erinnere mich an die Fotos und das ich mit Ohrenschützern in meinem Wohnzimmer saß. Aber in diesem Jahr dauert die Kältewelle offenbar länger an als sonst – oder es kommt uns nur so vor. Auf Facebook reden die Ägypter über nichts anderes mehr als über das Wetter. Wenn ich so durch die Straßen laufe, mit Schal, Mütze, dicker Jacke, Handschuhen und Winterschuhen frage ich mich, wie die Ägypter diese beißende Kälte nur aushalten. Die große Mehrheit der Ägypter ist viel zu arm, um sich Winterschuhe leisten zu können, geschweige denn Heizöfen für ihre Wohnungen. Es sind unzählige Menschen dieser Tage weiterhin in ihren alten, zerfetzten Sandalen unterwegs, die sie Sommer wie Winter tragen, weil sie nur dieses eine paar Schuhe besitzen. Die Menschen schlagen sich dicke Wolltücher um die Köpfe und Schultern, tragen dicke Pullover und wenn sie Glück haben eine dickere Jacke. Aber an den Füßen, da tragen sie Sandalen oder Halbschuhe ohne Socken, während ich eingemummelt an ihnen vorbeigehen. Ich liebe Schnee und fände es aufregend, wenn es in Kairo wieder schneien würde. Aber ich wünsche es mir nicht. Zu viele Menschen würden bitterlich leiden. Zu Hause versuchen einige, sich mit heißer Kohle warm zu halten, was wiederrum gefährlich ist und zu Lungenkrankheiten führen kann. Es wird also Zeit, dass es bald wieder ein wenig wärmer wird in Ägypten. Aber eine Frage bleibt: Warum nur machen die Ägypter, obwohl es so kalt ist – überall die Fenster auf? Der Taxifahrer fährt bei offenem Fenster, während ich auf der Rückbank meinen Schal fester um den Hals wickele und auch meine Putzfrau reißt bei mir alle Fenster auf, sobald sie da ist und macht sie auch nicht wieder zu, und das wo es gerade etwas warm geworden war dank der etlichen Heizstrahler, die ich aufgestellt habe. Sie sind und bleiben mir ein Rätsel, die Ägypter.

 

Ein Kokon aus bunten Stoffen

Es gibt so Momente in Kairo, da hat man das Gefühl, aus der Zeit gefallen zu sein. Neulich widerfuhr mir wieder so ein magischer Moment und das auch noch völlig unvorbereitet. Ich war auf dem Weg zu einem Interview-Termin mit der ägyptischen Designerin Nevin Altmann. Ich kenne Nevin schon lange privat, war aber noch nie zuvor in ihrem Atelier. Es hatte sich nie ergeben und wie ich an diesem Tag erfuhr, lud sie auch nie Gäste in ihre Werkstatt ein. Besuch lenke sie nur von der Arbeit ab, erzählte sie mir. Alleine in ihrem kleinen Reich kommen ihr die besten Ideen, hier kann sie versinken zwischen den bunten Stoffen und sich inspirieren lassen von den teilweise jahrhundertealten Mustern, die sie zu hochwertigen Schals, Taschen, Kopfkissen und vielem mehr verarbeitet.

Ein Farbteppich aus Gelb, Rot, Orange, Grün und Braun - den Farben der Oasen in Ägypten
Ein Farbteppich aus Gelb, Rot, Orange, Grün und Braun – den Farben der Oasen in Ägypten

Die Werkstatt befindet sich im Zentrum Kairos an einer der Hauptachsen der Innenstadt in einem der imposanten Häuser, die unter Khedive Ismail am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden. Heute sieht man von der Straße aus meist wenig von der alten Pracht, weil die Fassaden mit hässlichen Werbeplakaten der Geschäfte gepflastert sind, die sich in den vergangenen Jahrzehnten dort angesiedelt haben. Doch schon die großen Eingangstüren lassen erahnen, wie sehr sich die französischen Architekten damals von den Häusern ihrer Heimat inspirieren ließen. Khedive Ismail legte in diesen Straßen die Grundsteine der ägyptischen Belle Epoque. Hier also, in einem dieser Häuser, im Gewusel der lauten, verstopften Innenstadt konnte Nevin Altmann in Ruhe arbeiten, kamen ihr, dieser ruhigen, tiefen-entspannten Frau die besten Ideen? Ich war skeptisch.

Jedes Stück bei Nevin Altmann wird in Handarbeit erstellt
Jedes Stück bei Nevin Altmann wird in Handarbeit erstellt

Aber als sich die Tür zu ihrem kleinen Reich öffnete, war ich sofort verzaubert. Diese alten Häuser sind so groß, dass es Wohnungen gibt, die sich komplett im Bauch des Gebäudes befinden. Hier kommt zwar nie das Sonnenlicht hin, dafür bleibt aber auch der Lärm draußen. Die Mauern schlucken das chaotische Leben auf den Straßen, während Nevin an ihrem Schreibtisch sitzt, zeichnet, näht und mit Farben experimentiert. Schon ihr Vater hat in dieser Wohnung gearbeitet, hatte hier jahrzehntelang sein Büro. Später übernahm Nevin die Wohnung und machte es zu ihrer Werkstatt. Wenn damals, vor etwa 20 Jahren, ihre kleine Tochter von der Schule kam, konnte sie sich hier auf einer extra für sie gebauten Empore ausruhen, Hausaufgaben machen und spielen.

In den Boxen lagern Stoffe und andere Utensilien
In den Boxen lagern Stoffe und andere Utensilien

Die Wohnung ist mit all den Stoffen, die sich in den Ecken stapeln, wie ein bunter Kokon, der seine Bewohner vor der lauten Stadt beschützt. Ein kleiner, magischer Ort im Chaos der großen Stadt. Ich wollte eigentlich gar nicht mehr gehen, so aufgehoben habe ich mich dort gefühlt. Aber dann würde Nevin nicht mehr arbeiten können und ihre wunderschönen Taschen und Schals kreieren, die ich so liebe. Ich bin also gegangen, durch den riesigen Hausflur und das imposante Treppenhaus zurück durch die große Eingangstür hinaus in das gleißende Sonnenlicht und die hektische, laute Stadt. Doch der Zauber des bunten Kokons ist mir geblieben, bis heute.

Produktschilder für Taschen und andere Nevin Altmann Kreationen
Produktschilder für Taschen und andere Nevin Altmann Kreationen

Hier geht es zu einem Artikel über Nevin Altmann in Cairoscene.com

http://cairoscene.com/ViewArticle.aspx?AId=54708-Nevin-Altmann-leather-embroidery-egyptian-brand